Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
gesagt.
Dort sollte es geschehen. Was immer
es
sein mochte.
Emily und Aurora hatten auf den Polstermöbeln Platz genommen. Mr. Wolf und Mr. Fox saßen den beiden Mädchen gegenüber und starrten sie an wie zwei Raubtiere, die ruhten.
»Für wen arbeiten Sie?« Emily hoffte, ein wenig über die Hintergründe der ganzen Sache in Erfahrung bringen zu können, und Fragen kostete nichts, wie Mrs. Philbrick zu sagen pflegte.
»Sie sind neugierig«, stellte Mr. Fox fest.
Mr. Wolf schaute nur mürrisch.
»Ich denke, dass wir Ihren Auftraggeber ohnehin bald kennen lernen werden.«
Mr. Fox nickte. »Oh ja, das werden Sie.« Der Gedanke an dieses Zusammentreffen schien ihn zu belustigen. »Dessen eingedenk macht es wohl keinen Unterschied, Sie beide davon in Kenntnis zu setzen, wer unser Auftraggeber ist.«
Besorgt warf Emily einen Blick auf ihre Freundin.
Zusammengekauert saß Aurora in ihrem Sessel und zitterte. Heftiger Schüttelfrost hatte sich ihres ganzen Körpers bemächtigt, und es kostete sie offenbar große Mühe, der Unterhaltung zu folgen.
»Er ist es«, verkündete Mr. Fox.
»Der neue Herr im Tower.«
»Master Lycidas.«
»Er bat uns vor wenigen Tagen, das Waisenhaus in Rotherhithe aufzusuchen und zweien der Kinder eine Einladung auszusprechen. Der Reverend Dombey war im Bild, und wir verdanken es nur seiner Nachlässigkeit, dass wir Sie jagen mussten.«
»Trefflich formuliert«, kommentierte Mr. Wolf, der das Ganze offensichtlich sehr komisch fand.
»Wir begaben uns also ins Waisenhaus. Reverend Dombey hatte unserem Auftraggeber versichert, dass wir die beiden Kinder unbeschadet in Empfang nehmen könnten.«
»Dämlicher Dombey!«, knurrte Mr. Wolf verächtlich.
»Dem kann ich mich nur anschließen«, stimmte Mr. Fox zu.
Der Zug ging scharf in eine Kurve.
Das silberne Geschirr und edle Porzellan in den noblen Schränken rappelte, und einige Gläser zersprangen, als sie von den Tischen rutschten.
Emily bemerkte, dass die Temperatur in ihrer Jackentasche anstieg. Sie spürte etwas. Etwas, das mit letzter Kraft auf einen der Steine zukroch, von dem Emily annahm, es handele sich um den Bernstein.
»Kensingtons Wölfe, dieses dumme Pack, sind uns zuvorgekommen.«
Mr. Fox verzog das Gesicht zu einer Fratze, als missbillige er das Verhalten der Werwölfe zutiefst. »Larry, dieser Idiot aus Whitechapel, entführt die kleine Miss Mushroom, und dummerweise flüchten Sie, liebe Miss Laing, in der gleichen Nacht aus dem Waisenhaus.«
Emily wirkte verwirrt.
Sie hatte nicht gewusst, dass der Lordkanzler von Kensington und sein Rudel räudiger Werwölfe etwas mit diesen beiden Gestalten und ihrem Auftraggeber, dem mysteriösen Master Lycidas, zu schaffen hatten. Und welche Rolle spielte der Reverend in diesem Spiel? Bisher war sie davon ausgegangen, dass Reverend Dombey und alle, die in irgendeiner Weise mit dem Waisenhaus zu tun hatten, nicht in diese seltsamen Geschehnisse involviert waren. War dies womöglich ein fataler Trugschluss gewesen? Hatte gar Madame Snowhitepink ihre Finger im Spiel?
»Es rattert in deinem Köpfchen, was?« Mr. Wolf grinste hämisch.
Emily hielt seinem gelbäugigen Blick stand.
»Master Lycidas wird Sie aufklären.« Mr. Fox hatte die Beine übereinander geschlagen. »Sollte er es nicht tun, so ist mir das auch recht. Wie bereits erwähnt, wir müssen nur den Auftrag erfüllen. Aufspüren und einfangen.«
»Und vor Einbruch der Nacht am Verrätertor abliefern.«
Das Verrätertor.
Emily hatte davon gehört.
Einer der flussseitigen Zugänge zum Tower von London war jenes Holztor mit den eisernen Spitzen. Früher waren die Gefangenen auf dem Wasserweg durch das Verrätertor in den Tower gebracht worden.
Ein unsanftes Schaukeln des Zuges riss Emily aus ihren Gedanken.
Mr. Fox und Mr. Wolf blickten alarmiert auf.
»Was war das?«
Mr. Wolf nahm Witterung auf. »Etwas stimmt nicht.«
Die Zugfahrt wurde unruhiger.
Emily hielt sich an den Lehnen des Sessels fest, und Aurora kam wieder zu Bewusstsein, hatte die Augen aufgerissen und starrte ihre Freundin an. Draußen vor dem Fenster raste ein hell erleuchteter Bahnsteig vorbei.
Kilburn.
»Was soll das?«, fauchte Mr. Fox, dem der Bahnsteig nicht entgangen war.
Kilburn liegt auf der Jubilee Line, die vom Norden Londons südwärts führt.
Schlagartig wurde Emily bewusst, dass sie sich im normalen Schienensystem fortbewegten. Die Menschen da draußen auf dem Bahnsteig in Kilburn waren normale Menschen, die zur Arbeit oder
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