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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Zahnfüllungen, unförmig und skurril anmutend.
    »Nicht umsonst heißt dieser Ort The Deep«, kommentierte Lucia del Fuego.
    Mit eiligen Schritten durchquerten die drei diesen Teil der uralten Metropole. Hungrige und bösartige Blicke wurden ihnen zugeworfen, gierig und lüstern. Doch hatten die hageren, in kaum mehr als Lumpen steckenden Zeitgenossen Respekt vor der Jägerin.
    »Die Abtei der Black Friars«, so erklärte ihnen Lucia del Fuego, »liegt tiefer in der Erde verborgen. Die frommen Mönche haben nichts zu schaffen mit diesen debilen Restefressern.«
    Die beiden Mädchen nahmen dies zur Kenntnis.
    Eng aneinander geschmiegt folgten sie den großen Schritten der Jägerin, deren hohe Stiefel Respekt gebietend auf dem feuchten Steinboden klapperten und das herumlungernde Volk fern hielten. Hier und da starrte Lucia die Gestalten an, fixierte sie, worauf sich die Masse teilte und den Weg freigab.
    »Sie fürchten sich vor dem bösen Blick«, erklärte sie den Mädchen.
    Wer nicht?, dachte Emily.
    Aurora schwieg die ganze Zeit über.
    »Woher kommen diese Kerle?«, fragte sie nach einiger Zeit dann doch, ungeachtet der Tatsache, dass sich auch Frauen und Kinder unter dem Flussvolk befanden, die allerdings, das sollte hier angemerkt werden, nicht minder widerwärtig anzuschauen waren.
    »Einst waren es normale Menschen, denen das Leben allerdings übel mitgespielt hat«, gab die Jägerin bereitwillig zur Antwort. »Bettler, Tagelöhner, Penner, Restefresser. Hier unten haben sie sich eine neue Welt geschaffen, fernab von den angeekelten und mitleidigen Blicken der Passanten in den Straßen Londons. Sie leben von dem, was der Fluss hergibt. Ja, sie nähren sich von den Resten der Themse; und natürlich von denen der Menschen. Sie durchforsten die Müllsäcke und Abfalleimer, essen alles, was nicht zu hart zum Essen ist. Restefresser eben.«
    Triefende Augen starrten aus tiefen Höhlen oder hinter fettigen, langen Haaren; klobige Humpen wurden in den dreckigen Spelunken erhoben und Trinksprüche in einer Sprache ausgesprochen, die wie ein unreines Englisch klang. Einige Gestalten kauerten über dem Kadaver eines Hundes, den sie an einem improvisierten Spießüber einer brennenden Mülltonne grillten.
    »Es ist die Schattenseite der Welt, die Sie beide kennen«, sagte Lucia, der die Blicke der Mädchen nicht entgangen waren. »Es erscheint ekelhaft, doch versuchen diese Kreaturen nur das, was wir alle tun. Sie wollen überleben. Dazu nehmen sie sich nur das, was das Leben ihnen noch gibt.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Zweifelsohne sind die Restefresser Abschaum.« Hier lächelte sie süffisant. »Doch hat nicht die Natur der Dinge diesen Abschaum geschaffen? Ist nicht The Deep das Exkrement des wohlhabenden Londons?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Lucia del Fuego ihres Weges.
    Die Kinder im Schlepptau.
    Dinsdale hatte sich vor dem grässlichen Gestank und dem pöbelhaften Geschrei in Emilys Jackentasche verborgen und lugte hier und da vorsichtig heraus. Das Flussvolk, das hatte er den Mädchen glaubhaft zu verstehen gegeben, mochte nun einmal keine Irrlichter.
    Derweil drifteten Emilys Gedanken besorgt ab zu demjenigen, was ihnen noch bevorstand. Zwar war die Durchquerung dieser Tunnel kein Zuckerschlecken und alles andere als angenehm, doch fühlten sich die Mädchen weitestgehend behütet unter dem Schutz der Jägerin. Was ihnen bevorstand, machte Emily Angst. Wenngleich Lucia del Fuego den beiden Mädchen versichert hatte, dass keine unmittelbare Gefahr drohe von der Gestalt, deren Weg sie alle würden kreuzen müssen, so war Emily dennoch skeptisch.
    »Nehallania«, hatte die Jägerin den Mädchen während des Frühstücks erklärt, »war einst eine Göttin gewesen.«
    Jetzt bewachte sie den Tower.
    »Sie ist eine übellaunige Göttin«, hatte Lucia del Fuego hinzugefügt.
    Als Emily vom Schicksal der Göttin erfuhr, konnte sie ihr dieses Verhalten nicht einmal verdenken.
    Nehallania war einst eine Göttin gewesen. Doch langweilte sie ihr Dasein, da sie nicht zu träumen vermochte. Sie neidete den Menschen diese Fähigkeit und sandte die Luftgeister, die ihr untertan waren, aus, die Träume der Menschen zu stehlen. Gewissenhaft erfüllten die Luftgeister den Auftrag und schwebten des Nachts unbemerkt von den arglosen Menschen in deren Schlafgemächer und stahlen ihre Träume. In den Morgenstunden, nachdem die Luftgeister in den Palast der Göttin zurückgekehrt waren, labte sich diese an den

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