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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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fremden Träumen.
    »Doch gibt es viele Arten von Träumen«, hatte Lucia del Fuego den Kindern erklärt.
    Die Träume schlechter Menschen sind auch von üblem Geschmack, und weil sie der Göttin nicht mundeten, trug sie den Luftgeistern auf, jene Träume an die Boshaften zurückzubringen. Die Luftgeister aber, von einfältiger Natur, waren verwirrt, da sie sich nicht mehr erinnern konnten, wem genau sie die Träume entwendet hatten.
    »So begab es sich«, hatte Lucia del Fuego weitererzählt, »dass sie die Träume irgendjemandem zurückgaben.«
    Gute Menschen, die bisher ohne Arg gewesen waren, hatten auf einmal schlechte Träume und bekamen liederliche Gedanken.
    Dies missfiel den Göttern, die ihre Engel entsandten, um Nehallania aufzuspüren und in Gewahrsam zu nehmen. Sodann wurde die Göttin ihrer gerechten Strafe zugeführt. Von nun an keine Gottheit mehr, kettete man sie tief im Inneren der Erde an einen Fels, und dreimal am Tag kroch das Getier aus dem nahen Fluss durch die Felsspalten und nagte am Körper der einstmaligen Göttin, fraß sich langsam durch ihr Fleisch und vertilgte Nehallania zur Gänze.
    »Doch wäre ein solches Ende ein zu gütiges Schicksal für den Frevel der Göttin gewesen«, hatte die Jägerin bemerkt.
    Nehallanias Fleisch vergiftete das Getier aus dem Fluss.
    Deren Körper zerfielen alsbald, und aus den fauligen Kadavern erhob sich erneut die Gestalt der Göttin.
    »Dies wiederholt sich mehrmals am Tage«, hatte Lucia del Fuego den beiden Mädchen erklärt, »denn die Hölle, das sollten Sie wissen, ist die Wiederholung.« Seltsam lächelnd hatte sie ergänzt: »Ja, die Wiederholung ist die Hölle.«
    »Ist das wirklich alles so geschehen?« Aurora hasste Gruselgeschichten.
    Die Jägerin hatte sanftmütig gelächelt. »Es ist eine Überlieferung. Eine Sage. Ein Mythos.« Und hinzugefügt: »Fest steht, dass das Flussvolk der einstigen Göttin huldigt. Dass sie es tun, weil Nehallania durch ihren täglichen eher unfreiwilligen Opfertod die Plage durch das Flussgetier verhindert, steht ebenso außer Frage.«
    »Warum bewacht sie den Tower?«, hatte Emily wissen wollen.
    »Das tut sie nicht«, hatte die Jägerin zur Antwort gegeben. »Seit alter Zeit schon fristet sie dort unten ihr Dasein. Lange bevor die Menschen erste Tunnel durch die Erde getrieben haben. Lange bevor aus Londinium das heutige London geworden war. Sie ist da, weil dieser Ort ihre Bestimmung ist. Ihr Dasein ist an diesen Flecken Erde gebunden. So ist es. Und so wird es sein. Basta.«
    »Ist sie gefährlich?« Emily war von Anfang an nicht wohl gewesen bei dem Gedanken, jenem Wesen zu begegnen.
    »Sie ist … heimtückisch«, hatte Lucia del Fuego entgegnet. »Und hungrig.« Der diese Worte begleitende Blick hatte keine Fragen offen gelassen. »Manchmal«, so hatte die Jägerin gesagt, »greift sie sich achtlose Wanderer.«
    Dieses Gespräch hatten sie vor mehr als einer Stunde geführt, nachdem sie das reichliche Frühstück zu sich genommen und bevor sie The Deep durchquert hatten. Jetzt, da die Wände des Tunnels immer felsiger, unbehauener und feuchter wurden, erinnerte sich Emily jedes einzelnen Wortes ihrer Unterhaltung.
    Die Realität war schrecklicher, als sie sich das Mädchen jemals hätte ausmalen können.
    Lucia del Fuego bedeutete den Kindern, sich hinter ihrem Rücken zu halten.
    »Keine unbedachten Bewegungen«, hatte sie den Kindern eingeschärft.
    Als Emily Nehallania zu Gesicht bekam, wusste sie, warum.
    »Wird sie uns angreifen?«
    »Sie versucht, uns die Passage zu verwehren. Das ist ihre Natur.«
    »Aber Sie kennen einen Trick?«
    Lucia del Fuego hatte gelacht. »Ja, Miss Emily. Alle Tricks der Welt kenne ich.«
    Nachdem sie The Deep bereits seit einer Viertelstunde hinter sich gelassen hatten und dem holprigen Pfad stetig abwärts gefolgt waren, die Pechfackeln an den Wänden immer weniger wurden und Dinsdale als Lichtquelle hatte einspringen müssen, gabelte sich der Tunnel schließlich.
    Dinsdale flog zur Höhlendecke und strahlte, bis die Ausmaße dieses Ortes deutlich erkennbar waren.
    Emily ergriff instinktiv Auroras Hand.
    Sie stellte fest, dass auch Aurora ein Zittern zu verbergen suchte.
    Trotz der Angst, die sich der Herzen beider Mädchen bemächtigt hatte, konnten sie den Blick von dem, was da vor ihnen lag, nicht abwenden.
    Der Weg nach links war frei, vor der rechten Abzweigung aber hockte eine riesige Gestalt, die bis zur drei Meter hohen Decke reichte und deren spindeldürre Arme

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