Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
runden Tisch sitzen, die Mundwinkel abfällig nach unten gezogen, die kleinen, schmalen hellwachen Augen durch den auf der überaus langen gekrümmten Nase sitzenden Monokel der Welt Verachtung entgegenbringend, die Hände ruhig im Schoß gefaltet. Alles an ihm wirkte abweisend. Der dunkle Anzug mit Weste, der sauber gesteifte Hemdkragen und die makellosen Manschetten, das schüttere, etwas wirr abstehende fast greise Haar, das den Doktor wie einen streitsüchtigen hageren Kampfhahn erscheinen ließ. Das Letzte, was man mit diesem Mann assoziierte, war der mitfühlende Kontakt zu kranken Menschen, und ich ertappte mich bei der leisen Bitte, ihm nie als Patientin ausgeliefert sein zu müssen.
»Wie Sie wissen«, begann er ohne Umschweife nach den flüchtig ausgetauschten Begrüßungsfloskeln, während Tom und ich zaghaft an unserem Kaffee nippten, »beschäftige ich mich seit geraumer Zeit mit den venösen Leiden.« Seine ruhige Stimme war wie warmes Holz und passte in keiner Weise zu dem exaltierten Äußeren des Arztes. »Den Krankheiten des Blutes«, fuhr er erklärend fort. »Vor einiger Zeit berichtete mir ein Kollege von einem Patienten, der innerhalb weniger Tage verstarb, weil seine Haut fahl geworden und bei Berührung mit dem Sonnenlicht in eitrigen Pusteln aufgebrochen ist.«
Ich wechselte einen mehr als nur erstaunten Blick mit meinem Bruder. Die Bemerkung des Doktors durchfuhr mich wie ein Blitzschlag. Pickwick erkannte unsere Reaktion und deutete sie richtig.
»Mein Kollege glaubt«, fuhr er fort, »dass der Ursprung dieser Krankheit in der Zusammensetzung des Blutes zu suchen sei. Was wiederum mein Interesse geweckt hat.« Er lehnte sich zufrieden zurück und lächelte. »In meinem gestrigen Gespräch mit Professor Molnár während des wöchentlichen Otthon-Treffens erwähnte ich jenes mir bislang noch unbekannte Phänomen. Dies jedoch nur, um zu erfahren, dass es gar kein
neues
Phänomen ist.« Seine Augen funkelten unternehmungslustig und ließen den Doktor um Jahre jünger erscheinen, als er vermutlich war. »Sie sehen, ich spiele auf Ihre Recherchen im Museum an.«
»Was wissen Sie darüber?«, fragte ich.
»Der Professor teilte mir lediglich mit, dass Sie in gewissen alten Schriften auf die Beschreibungen ähnlicher Krankheitsbilder gestoßen sind, was natürlich meine Neugierde weckte und mich die Entscheidung fällen ließ, Sie an meiner kleinen Reise teilnehmen zu lassen. Natürlich nur, sofern Sie Interesse bekunden, was ich, verzeihen Sie mir die Vorwegnahme, in keiner Weise anzweifle.«
Tom blinzelte. »Eine Reise?«
Doktor Pickwick beugte sich daraufhin leicht nach vorn über den Tisch und erklärte mit leiser Stimme und in verschwörerischem Tonfall: »Es gibt da ein Dorf, weit im Osten und auf rumänischem Territorium gelegen. Aghiresu. Es gibt Gerüchte, dass jene ominöse Krankheit immer häufiger die Einwohner befällt. Man sagt auch, die Bauern jener Gegend verschwänden, sobald die Krankheit bei ihnen ausgebrochen ist.« Er musterte uns abwartend.
»Und nun möchten Sie dorthin reisen«, mutmaßte Tom, »um die Krankheit zu untersuchen.«
»Sie sagen es.«
Ein schweigender Blick in die dunklen Augen meines Bruders bestätigte nur meine eigenen Gefühle: Die Suche nach dem Grab Tut-ankh-Amens schien nun nicht länger unsere Bestimmung zu sein. Es gab keinen Zweifel mehr daran, dass es das Geheimnis Vatheks war, welches wir lüften wollten.
So kam es, dass wir schon einen Tag später in einem alten, nach Holz riechenden Zugabteil saßen.
Die Ereignisse hatten sich derart schnell entwickelt, dass ich kaum Gelegenheit gehabt hatte zu reflektieren, welche Entscheidung ich überhaupt getroffen hatte. In der Zwischenzeit hatten wir hektisch und zugleich enthusiastisch die verbliebenen Angelegenheiten im Museum geregelt, Tibor Vanko erfolgreich überredet, uns zu begleiten (Professor Molnár musste aufgrund anderweitiger Verpflichtungen bedauernd ablehnen), und ein Telegramm nach Karnak zu Howard Carter geschickt, um schließlich mittags am Bahnhof den alten Zug zu besteigen, der uns zum Ziel der Reise bringen sollte.
»Reichtum und Ruhm, kleine Eliza«, hatte mir Tom verschwörerisch und in Aufbruchstimmung am Bahnhof zugeflüstert.
Und nun klammerte sich mein Blick an die Landschaft, die draußen vorbeiglitt. Ich hatte den stetig stärker werdenden Eindruck, als würden wir mit dieser Fahrt endgültig in den Osten eintreten. Die Landschaft veränderte sich schon nach kurzer
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