Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
vagyok«, wiederholte ich meine dürftige Begrüßungsformel.
Drei Gesichter nickten mir lächelnd zu. Hinter mir betraten Tibor und der Doktor den Raum, gefolgt von meinem Bruder. Doktor Pickwick begann mit dem älteren der Männer zu sprechen, während die übrigen Anwesenden schweigend verharrten. Wie ich kurze Zeit später erfuhr, war der schnauzbärtige ältere Mann Zoltán Vályi, der Hausherr, am Tisch neben ihm sein einziger Sohn Tamás, der dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Die beiden trugen lederne Hosen und dazu weite geschnürte Hemden in einem verwaschenen Weiß. Tamás Vályi mochte etwa fünfzehn Jahre alt sein, doch ließen ihn das besorgte Gesicht und sein stilles Wesen weitaus gereifter erscheinen. Allen Anwesenden merkte man das harte Leben an. Der Redefluss des Vaters zeugte von einer ruhigen und besonnenen Art, den Dingen des Lebens zu begegnen.
Der Doktor wirkte zu Anfang des Gespräches gewohnt arrogant, doch nach wenigen Minuten legte sich die hohe Stirn besorgt in Falten, während er gebannt den Worten des Wirtes lauschte.
Die junge Frau mit den langen blonden Zöpfen war Eva Nagy, ein Gast des Hauses. Die hellen blauen Augen in dem schmalen Gesicht wirkten wach und aufmerksam. Eva Nagy, die im Alter meines Bruders sein mochte, war die Dorfschulmeisterin von Aghiresu und, wie sich schnell herausstellte, des Englischen und Französischen mächtig, was sowohl Tom als auch ich selbst erfreut zur Kenntnis nahmen. Da es den hiesigen Gemeinden seltenst möglich war, dem Dorflehrer eine eigene Unterkunft zu gewähren, war es Brauchtum in dieser Gegend, den Schulmeister privat zu beherbergen. Trat jemand die Stelle des Lehrers an, so wurde er sozusagen von Familie zu Familie weitergereicht und bezog in halbjährlichen Abständen eine neue Kammer im nächsten Haus.
Gerade wollte ich einem Gedanken bezüglich des Blickes, mit dem mein Bruder jeder Bewegung der Schulmeisterin folgte, nachgehen, als sich der Doktor an uns wandte.
»Es gibt Schwierigkeiten«, sagte er und war sich augenblicklich unserer Aufmerksamkeit gewiss. Wie es seine Art war, machte er kaum Aufhebens und kam schnell zur Sache. »Mein Kollege, von dem ich Ihnen kürzlich berichtete, Doktor Lászlo Prokái, ist vor zwei Tagen verschwunden.«
Für uns war es bereits eine Neuigkeit, dass sich jener Doktor Prokái (hatte Pickwick uns gegenüber jemals diesen Namen erwähnt?) in Aghiresu aufgehalten hatte. Nicht zum ersten Mal beschlich uns der Verdacht, der Doktor könne mehr wissen, als er bisher zuzugeben bereit gewesen war.
»Prokái praktiziert in Klausenburg«, klärte uns Doktor Pickwick auf. »Dort wurde er zum ersten Mal mit dem zu untersuchenden Krankheitsbild konfrontiert.«
Es war Eva Nagy, die in überraschend gutem Englisch hinzufügte: »Dann kam er hierher, um die Vrolok zu untersuchen.« Sie sprach betont langsam, um Fehler zu vermeiden.
Der Doktor bedachte sie mit einem missbilligenden Blick, während sich die Vályis bei der Nennung der Vrolok hastig bekreuzigten.
»Junges Fräulein«, wies Pickwick die Lehrerin zurecht, »wir sollten uns hier den Fakten zuwenden und nicht dem Aberglauben.« Seine Mundwinkel verzogen sich verächtlich.
»Was sind die Vrolok?«, fragte Tom.
»Die
Fakten
«, betonte Doktor Pickwick, meines Bruders Frage ignorierend, »lauten wie folgt: Der Patient, den mein Kollege in Klausenburg behandelte, litt an Schlaflosigkeit und Tobsuchtsanfällen. Seine Haut war von starker Blässe gezeichnet und ebenso lichtempfindlich wie seine Augen. Auf grelles Sonnenlicht reagierte der Patient panisch und gleichsam aggressiv, ein rötlicher Ausschlag befiel die Haut, und seine Augen begannen zu schmerzen.«
»Was geschah mit ihm?«, wollte ich wissen.
»Während einer Untersuchung gelang es ihm, die Pfleger zu überlisten. Panisch flüchtete er aus dem Gebäude.« Pickwick rieb sich müde die Augen. »Man fand ihn zusammengekauert im hellen Tageslicht auf dem Platz vor dem Krankenhaus. Seine Haut war in eitrigen Pusteln aufgebrochen, und er blutete aus den Augen. Von heftigen Krämpfen geschüttelt, verstarb er fast augenblicklich nach dem Eintreffen der Pfleger am Ort des Geschehens.«
»Er war zu einem Vrolok geworden«, murmelte Eva Nagy kaum hörbar.
»Dummes Zeug«, entgegnete der Doktor, dessen scharfen Ohren die Bemerkung nicht entgangen war und der nun wütend auf Eva zutrat und ihr spöttisch die Worte ins überraschte Gesicht spie: »Er war ein Mensch, ein Homo sapiens,
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