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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Islington!
    »Er misstraute Eliza Holland.« Jetzt, da Emily die Aufzeichnungen gelesen hatte, stand dieser Offenbarung wohl nichts mehr im Wege. »Deswegen habe ich es vermieden, Sie über gewisse Dinge in Kenntnis zu setzen.« Die ganze Fahrt über hatte Emily in dem Notizbuch geblättert, das ihr Eliza anvertraut hatte. Unruhig und fasziniert hatte sie die Zeilen förmlich verschlungen. War, nachdem sie den ersten Teil der Aufzeichnungen gelesen hatte, von Unruhe erfüllt durch den Zug gelaufen und hatte sich in einer Welt wiedergefunden, die einmal Eliza Hollands Welt gewesen war. Luxuriös und dennoch irgendwie verstaubt. Die Brüsseler Teppiche und das Teakholz der Wandvertäfelungen, die großen Panoramafenster und die im Jugendstil gehaltenen üppig verspielten Motive, die Wände und Decke zierten, dies alles atmete den Hauch einer vergessenen Zeit.
    »Sie haben es die ganze Zeit über gewusst.«
    Emily hielt noch immer das Notizbuch ihrer Freundin in den Händen. Ruhig lag es auf ihrem Schoß. Gerade so, als schliefe es.
    »Sie haben es die ganze Zeit über gewusst.«
    Fast schon klang es wie eine Anschuldigung.
    »Dass sie eine Wiedergängerin ist?«
    »Ja.«
    Nicht, dass ich ihren Ärger nicht verstanden hätte.
    »Ich habe es geahnt.«
    Emily zog ein Gesicht.
    »Aber Sie kennen sie doch schon so lange.«
    »Seit Ägypten.«
    Ich seufzte.
    »Doch wie gut«, gab ich leise zu bedenken, »kennt man einen Menschen wirklich?« Ich erinnerte mich an den kurzen Rundgang durch das Ägyptische Museum. »Eliza Holland traf uns in Kairo, ja. Und Jahre später lief sie mir in London erneut über den Weg. Damals hatte sie die uralte Metropole bereits kennen gelernt. Sie hatte ihr Antiquitätengeschäft am Cecil Court eröffnet und lebte ihr Leben in London wie so viele andere auch.«
    Emily schwieg.
    Schaute nachdenklich aus dem Zugfenster, wo eine regentropfenbesprenkelte Welt vorbeizog. Wo eisige Winde erahnen ließen, dass wir uns noch in der Nähe der Atlantikküste befanden. Wo feiste Wolken tief über der kargen Erde hingen und den Anschein erweckten, als durchquerten wir eine abgrundtiefe Traurigkeit.
    Fast schien es Emily, als sehe sie in einen Spiegel hinein. Dort draußen gab es keine fröhlichen Farben, und das Gesicht, das ihr aus dem Fensterglas entgegenstarrte, war das einer Fremden.
    »Aber das ist nicht alles, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    »McDiarmid warnte mich bereits vor Wochen davor, Miss Holland uneingeschränktes Vertrauen zu schenken. Damals jedoch hielt ich das, was er mir anvertraute, für eine seiner zweifelsohne zuweilen überdrehten Verdächtigungen. Nun ja, ich muss zugeben, mich geirrt zu haben.«
    Lady Mina, die erschöpft und zusammengerollt neben Emily auf dem plüschigen Polster lag, hob neugierig die Schnauze.
    »Was hat er Ihnen noch gesagt?«
    Emily musste an den alten Mann denken, dem sie nur wenige Male zuvor begegnet war. Ganz argwöhnisch gemustert hatte er sie. Jedes Mal. Als habe sie etwas zu verbergen. Förmlich fixiert hatte er sie wie jemanden, auf den man achten muss. Mit stechenden Augen, die denen eines Raubvogels ähnlich waren. Allzeit wach und lauernd und jederzeit bereit zuzuschlagen.
    »Wann«, fragte ich Emily, »sind Sie Eliza Holland zum ersten Mal begegnet?«
    Die Frage überraschte das Mädchen.
    Doch gab es der Überraschungen derzeit nicht viele?
    »Ich musste Besorgungen für Sie machen und einige Bücher im Havisham’s abholen.«
    Ich nickte und sah nach draußen.
    Dachte an London und Salem House und daran, was McDiarmid damals getan hatte. Was er für
mich
getan hatte.
    »Würde es Sie verwundern, zu erfahren«, begann ich vorsichtig, »dass Sie Eliza Holland bereits viel früher begegnet sind?«
    Emily schaute mich an, als habe sie ein Gespenst erblickt. Ja, sie ahnte es. Konnte es mir förmlich von den Augen ablesen.
    »Eliza Holland«, sprach ich es dennoch aus, »hatte Kontakt zum Waisenhaus von Rotherhithe.« Genau das war es, was McDiarmids Misstrauen geweckt hatte. »Und Sie, Emily, müssen ihr dort begegnet sein.«
    Das Mädchen starrte mich an, und der Regen spiegelte sich in schmalen Rinnsalen auf ihrem Mondsteinauge, das zögerlich hinter der Strähne roten Haars hervorlugte.
    »Aber das ist …« Sie stockte.
    Ich nickte nur.
    »Es ist die Wahrheit.«
    Lady Minas schwarze Knopfaugen waren voller Mitleid.
    »Aber wie kann es denn sein«, murmelte Emily, »dass ich mich gar nicht an sie erinnern kann?«
    Dabei erinnerte sie sich noch gut an

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