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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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ausschließen«, gab Pickwick bedacht zur Antwort. »Mit Erlaubnis Ihres Bruders habe ich Sie eingehend untersucht.« Er blinzelte, und jetzt fiel mir auf, dass auch er müde und erschöpft wirkte. »Um eine lange Rede kurz zu machen, Miss Holland, ich kann nur Vermutungen anstellen.«
    »Und die wären?«
    »Verspüren Sie Magenschmerzen?«, fragte er.
    Ich nickte zögerlich.
    »Das Erbrechen von Blut kann die Folge eines akuten Ulkus sein.« Seine kleinen Augen musterten mich stechend. »Ein aufgebrochenes Magengeschwür«, erklärte er. »Ihre Physis scheint diesen Befund zu erhärten.« Bruchstückhaft dachte ich an Arthur Holmwood, der mir nicht selten Nervosität und Hektik zum Vorwurf gemacht hatte. »Infolge der Aufregung könnte es dazu gekommen sein.« Nachdenklich und mit einem Blick auf das Kissen murmelte er: »Was allerdings nicht diese ungewöhnlich hohe Menge Blutes erklärt.« Er schwieg einen Moment lang. »Wie gesagt, Miss Holland, ich kann nur Vermutungen anstellen. Daher würde ich Sie später am Tage gern erneut untersuchen.«
    Ich nickte nur müde.
    Dann versuchte ich mich zu erheben. Meine Beine fühlten sich schwach an, und mir schwindelte, als ich zu gehen versuchte. Gestützt von Tom, wankte ich unsicher aus dem Zelt hinaus.
    »Wo sind wir?«
    Die Landschaft, die sich mir in der einbrechenden Dämmerung darbot, raubte mir schier den Atem. Die Schönheit der dichten Wälder, die sich in einem langen Tal unterhalb der Burg ausbreiteten, durchsetzt von Schwaden aufkommenden Nebels, in denen sich das Licht der untergehenden Sonne fing, nahm mich augenblicklich gefangen. Ein schmaler Fluss schlängelte sich durch das Tal.
    »Wir befinden uns auf dem Weg zurück nach Budapest.«
    Ein Lager, bestehend aus fünf Zelten, war auf einer Lichtung aufgeschlagen worden.
    »Vielleicht möchtest du später Tibor sehen?«, fragte mich Tom.
    Als er die Worte ausgesprochen hatte, wurde mir schlagartig bewusst, wie sehr ich meinen Begleiter vermisst hatte. Die Gefühle, die ich Tibor Vanko gegenüber hegte, lebten auf, und ich wollte nichts anderes, als ihn wohlbehalten in meine Arme zu schließen.
    »Ich möchte ihn sofort sehen.«
    Tom warf Doktor Pickwick einen Blick zu, den ich kaum zu deuten vermochte. Nach einem zustimmenden Nicken Pickwicks erklärte sich Tom damit einverstanden, mir den Weg zu Tibors Zelt zu weisen.
    Tom forderte mich stumm dazu auf, allein einzutreten.
    Der Gedanke, den treuen Freund endlich wiederzusehen, gab mir Mut und Zuversicht, und mit zitternden, unsicheren Schritten betrat ich das Zelt.
    Das Bild, welches sich mir bot, ließ mich in meiner Bewegung innehalten. Ich sah mich dem jungen Ungarn gegenüber, der mich durch die Straßen seiner Heimatstadt geleitet und mich so oft mit verträumt verliebten Augen angesehen hatte, während die vornehme Oberschicht um uns herum durchs Stadtwäldchen flanierte. Jetzt wirkten diese Augen verzweifelt und verängstigt. Das Zelt war von ähnlich orientalischer Ausstattung wie mein eigenes, und wie dort, so hing auch hier der Duft nach süßem Rauch in der Luft.
    Jedoch waren schwere Ketten im Boden verankert worden. Tibor, der auf einem Feldbett liegend mein Eintreten bemerkt hatte, war aufgestanden, und ich erkannte, dass man ihm eiserne Fesseln um die Handgelenke gelegt hatte. Sein sonst Ruhe ausstrahlendes Gesicht war tränenüberströmt, und seine Lippen zitterten, als er mit heiserer Stimme meinen Namen rief. Instinktiv lief ich auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch.
    »Wir werden alle sterben«, murmelte er.
    »Tibor«, flüsterte ich nur und starrte benommen auf die Ketten. »Wer hat Ihnen dies angetan?«
    Seine dunklen Augen blickten mich ängstlich an.
    Ich war seinem Gesicht ganz nahe, hielt es in meinen Händen. »Was geschieht hier?« Dann erst bemerkte ich, dass Tibor vor mir zurückwich. »Nun reden Sie schon mit mir«, forderte ich ihn auf.
    Er schluckte langsam.
    Eine lange Kratzwunde verunzierte seine Stirn.
    Ich berührte den tiefen Kratzer vorsichtig.
    »Die Vrolok habe ich überlebt«, stammelte er und begann daraufhin hysterisch zu lachen, wobei Tränen über sein Gesicht liefen. »Al-Vathek hat uns alle gerettet, Eliza.«
    »Warum hält man Sie hier gefangen?« Kaum hatte ich die Frage gestellt, wurde mir bewusst, wie die Antwort lauten musste. Ruckartig wich ich vor ihm zurück und spürte meine Knie zittern. Es gab nur eine Erklärung, weshalb man Tibor hier angekettet gefangenhielt. »Mein Gott«, flüsterte ich, ohne

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