Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
zum Bahnhof zurückgekehrt, um die Heimreise anzutreten.«
Auf meine Bitte hin hatte sich Maspero mit den Behörden des Gare Saint-Lazare in Verbindung gesetzt, die bestätigten, dass Monsieur Micklewhite und Mademoiselle Fitzrovia den Orient-Express bestiegen hatten. Der Abteilschaffner, so die Verwaltung der CIWL, habe das für die beiden reservierte Abteil jedoch bereits kurz nach der Abfahrt verlassen vorgefunden.
»Also haben sie die Heimreise letzten Endes gar nicht angetreten.«
»Und das würde bedeuten …«
»Dass sie immer noch in Paris sind.«
Womöglich hatte der Elf eine Spur entdeckt, der zu folgen er für lohnenswert erachtet hatte.
Was, und das war das Besorgnis Erregende gewesen, aber nicht erklärte, weshalb uns keiner der beiden eine Nachricht hatte zukommen lassen.
Was immer aber geschehen war, würde sich uns nur vor Ort erschließen. Und deswegen hatten wir uns unverzüglich auf den Weg in die Seine-Metropole gemacht. Deswegen und weil Eliza Holland uns dazu geraten hatte, nach Paris zu gehen. Dort, so dachten wir, würden die Fäden zusammenlaufen.
So saßen wir im Orient-Express, der sich durch die verregnete Picardie der alten illuminierten Stadt Paris näherte, und hofften, die Antworten auf die meisten der Fragen, die uns bestürmten, eben dort zu finden. Am Ziel unserer Reise.
Letzten Endes jedoch kam alles anders als erwartet.
Die Hölle war der Ort, den wir finden würden. Und Emily Laing, die ahnungslos und unschuldig war, sollte ihr Herz verlieren.
Kapitel 2
La Cité lumière
Emily Laing sah sich um. Laternen schaukelten im Wind und tauchten die Gassen mit dem Kopfsteinpflaster in mattes Licht. Musik erscholl aus den Gasthäusern und Restaurants, Cafés und Bars, die voller Menschen waren, die sich lautstark zu amüsieren schienen. Ein Studentenviertel war dies, am Südufer der Seine gelegen.
»Wie gefällt Ihnen Paris?«
Die berühmte Stadt.
Londons Schwester sozusagen.
Die Stadt der Liebe.
Und des Lichts.
Vor wenigen Minuten waren wir dem Taxi entstiegen, das uns bis ins Quartier Latin gebracht hatte. Und nun waren wir auf dem Weg zum Institut du Monde Arabe.
»Fragen Sie besser nicht.«
Dieses Kind!
»Ich tu’s aber doch.«
»Es regnet«, sagte Emily nur. »Und es ist dunkel.«
Den Kragen des Mantels hatte sie hochgeschlagen, als wolle sie ihr Gesicht am liebsten ganz dahinter verbergen. Als wolle sie unsichtbar sein für die Menschen, die sie umgaben.
»Ich wäre jetzt gern in London.«
Was immerhin eine ehrliche Antwort war.
Denn Emily Laing, die noch niemals in ihrem jungen Leben die Stadt der Schornsteine verlassen hatte, fand sich mit einem Mal in den Straßen einer Stadt wieder, die gar nicht so anders zu sein schein als die Metropole, in der sie aufgewachsen war und die sie ihre Heimat nannte, die ihr aber doch zu fremdartig und abweisend erschien, als dass sie sich hier gut aufgehoben gefühlt hätte.
Ja, nach Paris gekommen zu sein, hatte Emily bereits mit dem ersten Schritt, den sie aus dem Orient-Express hinaus getan hatte, bereut.
»Ich heiße Sie willkommen«, hatte uns ein dunkelhäutiger, gut gekleideter Mann unbestimmten Alters am Gare Saint-Lazare begrüßt. »Professor Maspero erwartet Sie bereits im Institut.« Dann hatte er höflich den Kopf geneigt. »Ach ja, ich vergaß mich vorzustellen, was Sie entschuldigen mögen. Mein Name ist Ahmed Gurgar.« Er hatte mir wissend zugenickt. »Wir sind uns einmal in Karnak begegnet, glaube ich. Als Sie Castle Carter besucht haben.«
»Das ist lange her«, hatte ich zur Antwort gegeben. Und mich leicht verbeugt, wie es damals in Karnak Sitte gewesen war.
Emily hatte es kaum glauben können.
Sie hatte von diesem Mann gelesen.
In Eliza Hollands Aufzeichnungen, die hinten in ihrem Rucksack schlummerten und darauf warteten, zu Ende gelesen zu werden. Fast war ihr gewesen, als sei sie einer Figur aus einem Roman über den Weg gelaufen, doch hatte sie sich ins Gedächtnis zurückgerufen, dass die Dinge, von denen Eliza berichtet hatte, wirklich geschehen waren. Und dieser Mann vor ihr war ihrer Freundin bereits damals begegnet.
In Luxor.
Wo er die Geschwister Holland in Empfang genommen hatte.
»Sie sind Ahmed Gurgar?«
Der Ägypter hatte meine Begleiterin neugierig gemustert und noch breiter gelächelt. »Schon immer gewesen, Mademoiselle Laing.«
»Der Rais von Howard Carter?«
»Ja, möge er in Frieden ruhen.«
»Er ist tot?«
»Natürlich«, hatte er geantwortet. »Lange
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