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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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schon.«
    »Und Sie?«
    »Ich kam noch vor dem zweiten großen Krieg nach Paris. Folgte einfach nur dem Professor, der die Arbeit, die abzubrechen er in Ägypten gezwungen worden war, hier fortzusetzen gedachte.« Ein Lächeln hatte seine schiefen Zähne entblößt. »Darf ich fragen, was Sie beide nach Paris geführt hat?«
    »Reichtum und Ruhm,« hatte Emily spontan geantwortet.
    »Ja«, hatte ich zugestimmt, »was sonst?«
    Ahmed Gurgar, der sich wohl nicht mehr an Eliza Holland erinnerte, hatte dies still zur Kenntnis genommen und uns sodann durch den Bahnhof geführt, der ein Gewimmel von Menschen gewesen war, wahrlich ein Schmelztiegel der Nationen.
    So exotisch hatte der Gare Saint-Lazare gewirkt, dass es Emily schwer gefallen war, zu glauben, dass sie sich durch die Seine-Metropole bewegte.
    »Wir befinden uns in der Cité«, hatte der Rais erklärt.
    Was, wie Emily angenommen hatte, die uralte Metropole von Paris sein musste. Die Stadt unter der Stadt, die ungeahnte Geheimnisse und Gefahren bergen mochte, wie die uralte Metropole von London es tat. Hier, hatte Emily beiläufig gedacht, sollten wir in die Hölle hinabsteigen. Hier, so hatte sie inständig gehofft, würden wir Maurice Micklewhite und Aurora Fitzrovia finden.
    Ahmed Gurgar, der vorangegangen war, hatte uns erklärt: »Der eigentliche Gare Saint-Lazare befindet sich etwa hundert Meter über unseren Köpfen.«
    Ein verzerrtes Spiegelbild des berühmten Bahnhofs, den Monet in seinem Gemälde verewigt hat – das war der unterirdische Gare Saint-Lazare, den der Simplon-Orient-Express seit Jahren anfuhr. Massive Stahlkonstruktionen ragten aus den weißen Wänden der Kaverne heraus, die durch den Abbau von Kalkstein- und Gipsvorkommen entstanden war. Das Bauwerk, das hier unten erschaffen worden war, konnte nur als eine Mischung aus muslimischer und europäischer Architektur angesehen werden. Überall an den Wänden der Kaverne befanden sich
moucharabieh
, von Gitterwerk umschlossene Balkone, wie sie häufig an afrikanischen Häusern anzutreffen sind. Daneben gab es große Fenster, die im Jugendstil gehalten waren und auf den ersten Blick gar nicht zu den afrikanischen Elementen zu passen schienen.
    Auf den langen Bahnsteigen gab es kleine Couscous-Buden, Falafel-Stände und Chawarma-Restaurants. Männer saßen in den kabylischen Kaffeehäusern, die die Eingänge zum Bahnhof säumten, und beobachteten mit teilnahmslosen Gesichtern die Reisenden, die zu den Aufzügen und Rolltreppen eilten, die sie aus der Cité hinauf ins wirkliche Paris führten. Marabouts, denen übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden, warben um Kundschaft.
    Die Brigadier-Postiers, die emsig die schweren Gepäckstücke der vornehmen Reisenden entgegennahmen, wirkten, wenngleich sie sich schnell und geschmeidig bewegten, irgendwie leblos. Glänzend polierte Schuhe, die unter den bügelfalteneleganten dunklen Hosen hervorlugten, darüber ein weißes Jacket, ein eben solches Hemd mit Krawatte und die Mütze mit dem Emblem der CIWL. Geradeso, als sei die Belle Époque niemals zu Ende gegangen. Doch die hölzernen Masken, hinter denen sich die Gesichter vollständig verbargen, wirkten seltsam unpassend. Kunstvolle Muster waren in das dunkle Holz der Masken geschnitzt, und in der Dunkelheit der Augenschlitze schienen seltsame Geheimnisse zu schlummern.
    »Es sind Lazarus-Menschen.«
    Emily hatte Ahmed Gurgar fragend angesehen.
    Mit bis zum Kinn zugeknöpftem Mantel war sie neben uns hergegangen und hatte die Eindrücke der uralten Stadt in sich aufgenommen. Lady Mina hatte auf Emilys Schulter gehockt und ihren Schwanz um den Hals des Mädchens geringelt.
    Jetzt sind wir in der Fremde
, hatte die Rättin geflüstert.
    Und genau das war es, was Emily gefühlt hatte.
    Sie war in der Fremde.
    Als Fremde.
    Ein undurchdringliches Sprachengewirr hatte sie umgeben, in dem nur wenige Worte französischen Ursprungs schienen, und die Holzmasken der seltsamen Gestalten hatten sie an den Grund unserer Reise erinnert. An die Hölle und die Totenmaske der Lilith.
    Vorsichtig hatte Emily die Lazarus-Menschen beäugt, die schlichtweg überall zu sehen gewesen waren: auf den Bahnsteigen und den Balkonen und in den Fahrkartenhäuschen.
    »Warum nennt man sie so?«
    »Weil sie tot gewesen sind.«
    Emily hatte mir einen Blick zugeworfen, der unschwer zu deuten gewesen war. Dies war keine Antwort gewesen, mit der sie gerechnet hatte.
    »Und jetzt wieder leben?«, hatte ich gefragt.
    Ahmed Gurgar hatte

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