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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Wüste erkennen. Irgendwo in dieser glühenden Einöde befand sich das Tal der Könige mit seinen verborgenen Schätzen und geheimen Grabkammern, irgendwo dort draußen wartete der Leiter der Grabungen auf die Neuigkeiten, die ihm seine wissenschaftlichen Mitarbeiter bringen sollten.
    Ich erinnerte mich an die Worte von Ahmed Gurgar, dem Rais Howard Carters. Nach unserer ersten Ankunft hatte er vom Tal der Könige geschwärmt und auf die Frage meines Bruders, was genau denn Carter dort zu finden hoffte, hatte er mit einem verheißungsvollen und zuversichtlichen Lächeln geantwortet: »Reichtum und Ruhm.«
    Als könne ich mit den Worten einen Zauber bewirken und die Geister der jüngsten Vergangenheit verscheuchen, flüsterte auch ich kaum merklich: »Reichtum und Ruhm.« Im Gegensatz zu den Worten des Rais klangen die meinen jedoch keineswegs verheißungsvoll – und schon gar nicht zuversichtlich.
    Von Kairo aus schickten wir eine Mitteilung nach Karnak. Die Antwort erreichte uns prompt. Howard Carter war erfreut ob unserer Rückkehr und harrte der Neuigkeiten. Am Bahnhof von Kairo erfuhren wir von einem britischen Landsmann, dass es Differenzen gab zwischen dem neuen Leiter des Antiquitätendienstes und dem Archäologen. Der französische Jesuit Pierre Lacau, ein Bürokrat und Funktionär, war den Grabungen Carters, anders als sein Vorgänger Maspero, nicht sehr zugeneigt. Zudem pflegte er eine den Franzosen eigene Antipathie gegen Engländer, was die Zusammenarbeit nicht unbedingt vereinfachte. Carter, so sagte man uns, suche derzeit in der Nähe des Grabes KV55 nach der ihm eigenen Methode: Er ließ alles an Sedimenten abtragen, um den Felsen und das älteste Niveau des Tales zu erreichen – bisher jedoch ohne einschneidenden Erfolg.
    Al-Vathek blinzelte in die gleißende Sonne, und ein kaum merkliches Lächeln umspielte die dünnen Lippen. Die Bettler, die vor dem Zug auf die Reisenden warteten und ihnen mit anklagenden Blicken die offenen Handflächen entgegenreckten, verleiteten al-Vathek zu einer Bemerkung, die erahnen ließ, was in ihm vorging. »Nie werden Sie ermessen können«, sagte er fast ehrfürchtig, »in welcher Pracht dieses Land einst erstrahlte.«
    Festen Schrittes bestieg er den Zug.
    »Sie werden mich Howard Carter als Ihre Bekanntschaft aus Budapest vorstellen«, teilte er uns kurz nach der Abfahrt mit. »Nennen Sie mich ab sofort Herr Pharos.« Er sah uns streng an. »Ich bin ein Kenner der Mythologie Ägyptens und werde Ihnen behilflich sein bei Ihrem Vorhaben, die Grabstätte zu finden. Professor Maspero wird Ihnen bestätigen, dass er schon des Öfteren das Vergnügen hatte, mit mir zu arbeiten. Die Referenzen dürften Howard Carter überzeugen, mich an den Grabungen teilhaben zu lassen.«
    Die Bahnfahrt gestaltete sich anstrengend. Die schwüle Hitze der Wüste machte uns allen zu schaffen (mit Ausnahme al-Vatheks natürlich). Wenngleich die Fahrt mit dem Schiff länger gedauert hatte, so schien sie mir doch der angenehmere Weg zu sein, nilaufwärts zu reisen. Der Wechsel vom kühlen Klima Osteuropas zur flirrenden Atmosphäre des nördlichen Afrika ließ sich nicht einfach bewerkstelligen. Dennoch tat es gut, die Sonne auf der Haut zu spüren. Dieses Gefühl vermittelte den Eindruck von Leben. Man fühlte sich dem Leben näher. Dem richtigen Leben. Man entkam den Schatten, wenngleich dies, wie wir beide wussten, eine Illusion war.
    Es war seltsam, dass viele Orte, die wir passierten, von einem Hauch des Wiedererkennens umweht wurden. Der Zug quälte sich vorbei an den grünen Stränden des Nils. Einmaster mit dem typischen Segel glitten auf dem Fluss dahin, Krokodile lagen unbeweglich in den braunen Fluten, Karawanen zogen durch die Dünen, und da, wo sich die offene Wüste erstreckte, gab es nurmehr eine weite gleißende Leere. Wir passierten die Ruinen von Achet-Aton in der Abenddämmerung und spürten, wie durch die geöffneten Fenster ein kühler Wind aus der Wüste unsere Gesichter streifte.
    »Ich war viel jünger, als Sie beide es heute sind«, gestand al-Vathek, »damals, als ich dieses Land bereiste.« Es war, als suche er in der Wüste nach alten Bildern. »Vor langer Zeit kam ich als Abgesandter hierher – und wie viel ist seitdem geschehen.«
    Keiner von uns beiden wusste, weshalb genau al-Vathek uns auf dieser Reise begleitete. Er schien überaus darauf erpicht zu sein, an den Grabungen teilzunehmen. Zudem war er nach eigenem Bekunden ein alter Bekannter Gaston Masperos,

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