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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Carter wohl nichts dagegen habe, ihr Grab KV55 zu zeigen.« Er bedachte Carter mit einem freundlichen Blick. »Zumal sie mit Lord Carnarvon bekannt ist, der, wie ich hörte, die Grabungen finanziert.«
    »Wir sind ein offenes Haus für alle fachkundigen Gäste«, lachte Howard Carter, dem der Wink nicht entgangen war.
    »Sie wird Ihnen zu Dank verpflichtet sein«, versprach al-Vathek.
    So kam es, dass ich noch vor dem Weihnachtsfest 1920 meine Mentorin kennen lernte: Miss Wilhelmina White, die in jenen Tagen das Land der Pharaonen bereiste.
    Natürlich verfolgte al-Vathek andere Absichten als die offen preisgegebenen. Angeblich wollte er mit Tom nach Jerusalem reisen, um die Schriften des al-Vathek zu suchen, jene geheimnisumwitterten Hinweise auf die Grabstätte Tut-ankh-Amens. Welch eine Farce! Howard Carter schien jedoch keinerlei Zweifel an den Worten al-Vatheks (oder sollte ich »Herrn Pharos’« sagen) zu haben. Wie ich später erfuhr, war Herr Pharos in archäologischen Kreisen tatsächlich bekannt. Es gab zahlreiche Schriften, die sich mit den alten Göttermythen der Ägypter befassten und seinen Namen als den des Verfassers auswiesen. Detaillierte Darstellungen von Ra und Osiris, Beschreibungen der Vorfälle von Achet-Aton und eine bruchstückhafte Biografie Pharao Akh-en-Atens. Professor Maspero war persönlich mit Herrn Pharos bekannt und schätzte ihn als kompetenten Wissenschaftler, der vieler Sprachen kundig war.
    Al-Vathek hatte es in der Tat geschafft, seinen Platz in der Welt zu finden und zu behaupten. Zudem erweckte er den Eindruck, die Welt an seinem Wissen teilhaben zu lassen. Durchaus eine noble Geste, sofern keine geheime Absicht hinter all dem steckte.
    Doch davon später.
    Fünf Tage nach unserer Ankunft in Karnak machte ich die Bekanntschaft Miss Wilhelmina Whites. Mittels eines Boten ließ sie verkünden, dass sie gemeinsam mit ihrem Diener Wilkie Collins und einem englischen Reverend namens Charles Dombey im Hotel Ayrton abgestiegen sei. Zusammen mit einer neuen Horde europäischer Touristen, die es nach dem großen Krieg erneut nach Oberägypten trieb, war sie an Bord eines Dampfers gegen Mittag in Luxor eingetroffen. Ähnlich wie al-Vathek war auch sie kein Freund unnötiger Worte. Wir wurden uns in aller Form vorgestellt (im Foyer des eleganten Hotels), und nachdem al-Vathek, mein Bruder und Howard Carter erneut zu den Grabungsstätten aufgebrochen waren, offenbarte sie mir den Grund ihrer Anwesenheit.
    »Ich werde Sie all die Dinge lehren«, sagte sie, »die Sie zum Verständnis dessen, was Sie nunmehr sind, brauchen.« Ihr stark geschminktes Gesicht mit den stechenden Augen und dünnen, allzeit spöttisch wirkenden Lippen verängstigte mich zu Beginn der Begegnung. Die streng zu einem Zopf nach hinten gebundenen hellblonden Haare verstärkten diesen Eindruck nurmehr. Ich fragte mich, wie alt sie wohl sein mochte. Wenn sie sprach, dann tat sie dies fern jeden Humors, und die dünnen Augenbrauen hoben sich, um jedes der Worte zu betonen. »Es gibt viel zu berichten«, fuhr sie fort. »Alte Geschichten, die Sie verstehen lassen werden, was es mit uns auf sich hat.«
    Wann, fragte ich mich, ist sie zu einer der unsrigen geworden?
    Ihre Stimme war kraftvoll. »Darf ich Sie Eliza nennen?«
    Schüchtern sagte ich: »Ja.«
    Sie lächelte zufrieden. »Das, was Sie derzeit erleben, sind keine einfach zu machenden Erfahrungen. Es ist schwierig, zu akzeptieren, was man ist. Jedoch viel wichtiger ist es, zu erkennen, wer man ist. Dies allein bereitet schon den meisten gewöhnlichen Menschen das schlimmste Kopfzerbrechen.« Sie saß mir gegenüber in einem der eleganten Korbstühle. Überraschend beugte sie sich vor und ergriff meine Hand, umfasste sie fest mit ihren langen Fingern. »Damit wir uns richtig verstehen«, flüsterte sie, und ihr Gesicht war dem meinen ganz nah. »Ich möchte Ihnen helfen.« Fast war mir, als könne ich ihre Haut riechen. »Auch ich habe einst mit meiner Existenz gehadert. Ich habe denjenigen, der mich zu dem machte, was ich nun bin, verflucht. Ich habe die Nahrung verweigert und war dem Tode nahe.« Die blauen Augen wirkten hypnotisch. »Es gibt keine Umkehr mehr für Sie. Die Würfel sind gefallen. Akzeptieren Sie es. Und lernen Sie aus den Erfahrungen anderer.«
    Was sollte ich darauf antworten?
    Ich saß nur da und starrte sie an, spürte den leichten Druck ihrer Hand und fragte mich, welche Reaktion sie wohl von mir erwartete. Später, nachdem ich mehr Zeit mit

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