Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Eliza Holland der abendlichen Runde von den Kreaturen, derentwegen sie uns alle hierher bestellt hatte und von denen sie glaubte, dass sie sich nunmehr in London herumtrieben.
Und so wie alle Geschichten, begann auch diese hier.
»Es war einmal …«
An einem heißen Tag im Zug nach Marwar Junction, nahezu ein Jahrzehnt nach der Niederwerfung des indischen Aufstandes durch die britische Kolonialmacht, als der junge Journalist namens Rudyard Kipling, der für die Zeitung Northern Star in Bombay arbeitete, die Bekanntschaft eines Mannes machte, der Peachey Carnehan hieß und mit seinem Gefährten, dem Schotten Daniel Dravot, einen absurden Plan verfolgte, der sich auf den ersten Blick kaum von den Gaunereien unterschied, mit denen sich die beiden ehemaligen Offiziere und Mitglieder der Freimaurer gewöhnlich über Wasser hielten.
»Die beiden wollten ausziehen«, erklärte Eliza, »um Könige von Kafiristan zu werden.«
»Und Kipling ist ihnen gefolgt?«, wollte Emily wissen.
»Kipling erbot sich, die beiden zu begleiten.«
Und so schlossen sie sich, verkleidet als Einheimische, der Karawane von Peshwar nach Kabul an. In Jedilek, wo sie die Karawane verließen, wurde das Land bereits wüst und öde. In den Weiten Afghanistans ruhten sie bei Tage und reisten des Nachts, um unnötige Begegnungen zu vermeiden. Schließlich erreichten sie den Pushtuken, einen reißenden Strom, den zu überwinden ihnen mit Glück und zu Ballons aufgeblasenen Ziegenhäuten gelang.
»Dann begann der Aufstieg ins Gebirge.«
Selten war ein Pfad breiter als der Rücken einer Hand. Die Berge waren groß und weiß, wie wilde Schafböcke, und sie kämpften in der Dunkelheit miteinander, sodass man nicht schlafen konnte. Eine eisige Schneewüste erstreckte sich bis zum Horizont. Danny, wie die beiden anderen ihren Kumpan riefen, wurde schneeblind und musste sich am Schwanz des letzten verbliebenen Mulis festhalten.
»Nach beschwerlichen Wochen«, so Eliza, »erreichten sie endlich die tiefen Täler von Kafiristan.«
Der Königreiche gab es damals viele in Kafiristan. Dies machten sich die ehemaligen Offiziere zunutze. Die erste Ansammlung von klobigen Steinhäusern und windigen Bretterverschlägen, auf die unsere Gefährten trafen, war das Königreich Bashkai und wurde von einem König namens Butha regiert. Die Stadt befand sich im Kriegszustand mit Er-Heb, das einige Meilen weiter nördlich zu finden war. Dravot und Carnehan, die es natürlich nicht versäumt hatten, Gewehre mitzubringen, boten Butha ihre Dienste an.
Sie bildeten die Männer Bashkais an der Waffe aus. Dann marschierte die Streitmacht Bashkais gegen Er-Heb. Unnötig zu erwähnen, dass sie mit britischer Taktik, westlichen Waffen und zwei Haudegen wie Carnehan und Dravot den Sieg errangen. Er-Heb, das mit drei weiteren Städten Krieg führte, wurde dem Reich Buthas angegliedert.
»Es folgte die Eroberung der nächsten Stadt, und es hätte immer so weitergehen können, wäre nicht etwas Außergewöhnliches geschehen.«
Daniel Dravot wurde in der Hitze eines Gefechts von einem gegnerischen Pfeil mitten in die Brust getroffen. Dass die Spitze in der schmalen Bibel, die der Schotte an seiner Brust zu tragen pflegte, stecken blieb, bemerkte keiner der Einheimischen. Alles, was sie sahen, war ein Mann hoch zu Roß, der trotz seiner Verletzung nahezu berserkerhaft weiterkämpfte.
»Und dann geschah etwas ganz und gar Unglaubliches.«
Beide Streitmächte hielten plötzlich inne und fielen auf die Knie. Ein sakraler Gesang wehte mit einem Mal über das Schlachtfeld, und Dravot musste erkennen, dass die Kafiris ihm gottgleiche Eigenschaften zusprachen.
»Von da an mussten sie keine Schlachten mehr schlagen.«
Dravot wurde von Blumenmädchen empfangen, sobald seine Streitmacht eine neue Stadt erreichte. Priester beteten für ihn und bauten Schreine zu seinen Ehren am Wegesrand. Und dann erhielt er eine Einladung.
»Es gab eine heilige Stadt, auf einem Plateau im Hochgebirge«, sagte Eliza: »Sekandergul.«
Und es war die Hohepriesterin von Sekandergul, die ihre Diener entsandt hatte, um Daniel Dravot, den offenbar endlich zurückgekehrten Sohn Sekanders, eines mächtigen Königs von Kafiristan, dorthin einzuladen. In Frieden solle er kommen und ohne seine Streitmacht.
»Natürlich zerbrachen sich Carnehan und Dravot die Köpfe, ob man ihnen eine Falle stellen wolle. Doch obsiegte am Ende die Gier.«
Die Gier, noch mehr Reichtümer anzuhäufen, noch mächtiger zu werden.
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