Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
sei.«
Wie ein Leichentuch legte sich die geheimnisvolle Seuche über die Stadt Memphis. Amen-Hetep starb, und sein Sohn beschuldigte die Götter, ihr Volk im Stich gelassen zu haben. Er vertrieb die alten Götter und betete zu Aton.
»Die Papyri berichten, dass Ra vom Himmel gefallen sei und den Ort, an dem Achet-Aton entstehen sollte, dazu auserkoren habe, die neue Metropole zu werden. In den Schriften wird sogar angedeutet, dass der Pharao nur der ausführende Arm Ras gewesen ist.«
Demnach wäre Ägypten vom Lichtlord regiert worden.
Konnte dies möglich sein?
Dass Lucifer persönlich die Pharaonen beeinflusst hatte?
»Und Ra hat das Reich geschützt.«
»Sagen die Papyri, wovor genau er das Reich geschützt hat?«
»Vor Ghul-ti-sarra«, gab Maurice Micklewhite zur Antwort. »Doch wird in den Schriften noch ein anderer Name genannt. Cara-ti-sarra. Wobei nicht klar wird, ob es sich dabei um eine Person oder einen Ort handelt.«
Cara-ti-sarra.
Carathis.
»Die Schriftzeichen lassen keine eindeutige Interpretation zu.« Mutter der Ghule? Stätte der Ghule? »Ob Person oder Ort, das Böse wird dort geboren und kommt in die Welt, um sie mit Krankheit und Elend zu überziehen. Eine ewige Nacht, die schlimmer als der Tod sein soll, wird mit diesen Schriftzeichen in Verbindung gebracht.«
Der Elf sah uns bedeutungsvoll an.
»Akh-en-Aten huldigte der Sonnenscheibe und paktierte mit Ra, dem Lichtlord.«
»Weil«, führte ich den Gedankengang fort, »das Licht die Schatten vertreibt.«
»Metaphorisch.«
»Und weil die Seuche, die jedermann fürchtete, vom Licht ausgerottet werden kann«, meldete sich Emily, die an Kiplings Geschichte erinnert wurde, zu Wort.
»Ganz genau«, bestätigte der Elf.
»Und somit hätten wir den Grund für die neue Religion gefunden?«
Er nickte.
»Akh-en-Aten wusste von Ghul-ti-sarra und der Bedrohung, die von Cara-ti-sarra ausging. Deshalb ging er einen Pakt mit dem Lichtlord ein. Weil er nur darin eine Möglichkeit sah, sein Reich zu schützen.«
Achet-Aton wurde zum Zentrum des Reiches.
Ra schützte das Land vor den Schatten.
»Doch die Menschen beteten nach wie vor zu den alten Gottheiten.« Heimlich, im Verborgenen, lebte die alte Religion fort, und hin und wieder sah man die alten Gottheiten, wie sie sich in der Wüste vor den Feuern der Ewigkeit versammelten und ihre Rückkehr planten.
»Akh-en-Aten, der sich in seiner goldenen Stadt von dem Leben im Reich abschirmte, nahm die schönste Frau der damaligen Welt zur Gemahlin.«
Nefer-titi.
»Und die Unzufriedenheit im Volk wuchs.«
Hungersnöte und Missernten schrieben die Menschen Aton zu, der die Pflanzen auf den Feldern verbrennen ließ. Durch den die Flüsse austrockneten. Durch den die Wüste sich näher und näher an die Ortschaften heranschob. Der Sand war der Verbündete des Aton, und Ra flüsterte Lügen ins Ohr des Pharaos, der sich in Achet-Aton mit seiner schönen Frau vergnügte und keine Gedanken mehr verschwendete an die Nöte seines Volkes.
»Nach Akh-en-Atens Tod kam für kurze Zeit ein neuer Herrscher an die Macht, über den nicht viel bekannt ist. Es kann sein, dass Smenkh-ka-Re ein Sohn des Pharaos war, den er mit einer Nebenfrau namens Kiya gezeugt hatte, die, so mutmaßen manche Forscher, auch die Mutter des wohl berühmtesten Herrschers der 18. Dynastie war. Jenes Pharaos, der in Achet-Aton aufwuchs. Der die Geschichten um Ghul-ti-sarra gekannt haben muss. Dessen Grab Howard Carter im Spätsommer des Jahres 1922 entdeckte.«
Es war Aurora, die den Pharao benannte.
»Tut-ankh-Amen.«
Sie kannte seine Totenmaske, die als Leihgabe des Museums Kairo vier Stockwerke tiefer hinter einer Glasscheibe zu bewundern war.
»Sie sagen es. Tut-ankh-Amen, der ursprünglich den Namen Tut-ankh-Aton trug und nach der Machtübernahme seinen Namen änderte«, erklärte Maurice Micklewhite. »Tut-ankh-Aton, was lebendes Abbild des Aton bedeutet, wurde zu Tut-ankh-Amen, zum lebenden Bild Amuns.«
Vom Sonnenkult seines Vaters wollte sich der junge Pharao lossagen. Nichts als ketzerische Ansichten waren die Ideale seines Vaters für ihn. Zwar kannte er die Geschichten um jene dunkle Stadt, doch tat er sie ins Reich der Legenden ab. Mystische Geschichten, die ein alter Mann seinem Kind erzählt hatte, um es zu ängstigen.
»So wurde Achet-Aton verlassen, und Tut-ankh-Amen kehrte nach Memphis zurück, von wo aus er das Reich regierte. Theben wurde wieder zur wichtigsten religiösen Stätte im Neuen Reich, und
Weitere Kostenlose Bücher