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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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gesagt, die beiden gehörten zusammen und zögen seit Jahrtausenden durch die Welt und verbreiteten das Übel, das nun auch die uralte Metropole befallen hatte? »Elagabal hat damals, wie du sagtest, eine dunkle Göttin angebetet, und al-Vathek hat den römischen Kaiser gekannt. Alle drei haben sich also in Rom aufgehalten.«
    »Aber aus welchem Grund sollten sie nach London gekommen sein?«, dachte Aurora laut.
    Um Engel zu töten?
    Sich zu vermehren?
    Über uns prasselte der ständige Regen auf die Kuppel hernieder, und sofern er die Antworten wusste, flüsterte er sie so leise in die Nacht, dass niemand von uns Sterblichen sie jemals hätte vernehmen können. Wir blieben ratlos zurück in der riesigen Einsamkeit des Lesesaales, und die Beunruhigung in unser aller Herzen wuchs ins Unermessliche.
    »Welche Rolle«, fragte Emily schließlich, »spielt der Lichtlord bei alledem?«
    Lucifer.
    Master Lycidas.
    Dessen Häscher Black Friars geworden waren.
    Maurice Micklewhite gab die Antwort: »Der Lichtlord ist tot.«
    Emily aber erinnerte sich an die Worte des Engels, die aktueller denn je waren. Denn wenn nichts für immer stirbt, dann stand uns Übles bevor.
    Oder etwa nicht?

Kapitel 9
Auf den Flügeln der Nacht

    Wenn Emily das Gefühl beschlich, ihre Welt gerate aus den Fugen, dann suchte sie die Nähe ihrer Schwester und sprach mit ihr. Nicht in Worten, nein. Emily sprach zu ihrer Schwester in Bildern und Gefühlen.
    Des Nachts.
    Wenn Mara träumte.
    Denn Mara Manderley war Emilys Schwester.
    Eine richtige Schwester, die sogar langsam Emilys Gesichtszüge bekam, die, das wusste Emily nunmehr, erahnen ließen, wie ihrer beider Vater wohl ausgesehen haben mochte.
    Denn Richard Swiveller war beider Mädchen Vater und hatte Mia Manderley geliebt. Selbst nachdem Mia zur Ehe mit dem Erben Mushroom Manors gezwungen worden war, hatten die beiden sich heimlich getroffen. Doch als erneut Leben heranwuchs im Bauch Mia Manderleys, die den Familiennamen ihres Mannes wie ein schmutziges Kleidungsstück trug, da hatten alle geglaubt, dass Martin Mushroom der Vater sei. Und Mia hatte die Welt in dem Glauben gelassen, dass sie Mushroom Manor eine Erbin geboren habe.
    Das jedenfalls war die Geschichte, an die Emily von ganzem Herzen glaubte und die sie auch ihrer Schwester erzählt hatte. Die Liebe ihrer Eltern war eine romantische Liebe gewesen, gegen alle Widerstände der mächtigen Häuser. Und Emily und Mara waren Kinder der Liebe.Ja, nur so konnte es gewesen sein. Nur dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches für die Kinder.
    »Wir müssen sie fortschaffen aus der Stadt der Schornsteine«, hatte ich vor dreieinhalb Jahren gefordert. »Manderley Manor fällt dem Irrsinn anheim, und es wäre fatal, die Kleine noch länger hier zu lassen.«
    Maurice Micklewhite war gleicher Meinung gewesen.
    Und Emily hatte sich schweren Herzens von ihrer Schwester, deren neuer Aufenthaltsort geheim bleiben musste, getrennt. Denn Mara Manderley war die offizielle Erbin Manderley Manors und als solche das Ziel weit reichender Intrigen, die überall in der Stadt gesponnen wurden.
    »Nach Llandudno hat man sie gebracht«, hatte Emily ihrer Freundin Aurora gestanden. »Miss Anderson hat sich ihrer angenommen. Das hat Wittgenstein gesagt.« Ein langjähriger Vertrauter lebte in dem kleinen Ort in Cornwall. Charles Dodgson, der um die Geheimnisse der uralten Metropole und der Hölle gleichermaßen Bescheid wusste und – das ist wohl das allerwichtigste – der Kinder mochte.
    »Wirst du sie wiedersehen?«
    »Irgendwann.«
    »Hat das auch Wittgenstein gesagt?«
    »Ja.«
    Emily wusste, dass Mara fernab von London am sichersten war.
    Und sie wusste, dass Miss Anderson, die einstige Haushaltsvorsteherin von Manderley Manor, das Kind von Herzen gern hatte und sich auch früher schon fürsorglich um die Kleine gekümmert hatte.
    »Trotzdem«, sagte Emily oft, »vermisse ich sie.«
    Wenn Emily allein in ihrer Dachkammer war und die eisigen Herbstwinde an den klapprigen Fensterläden zerrten, dann schickte sie ihre Gedanken auf Reisen. Meist saß Emily vor dem Fenster und schaute den Regentropfen zu, wie sie winzigen Perlen gleich ihre Rinnsale zogen. Dann schickte Emily ihre Gedanken nach draußen, ließ sie von den Winden tragen, und ihre Gefühle flogen auf den Flügeln der Nacht hinaus nach Cornwall, wo die Wellen sich an den scharfen Klippen brechen und die Luft immerzu nach der salzigen Gischt des Ozeans riecht. Wo ein kleines Mädchen auf einem

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