Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
anderen Menschen geplant und gelenkt. Nun versuchte ich diesen Dingen zu entkommen, und es hätte dafür keinen geeigneteren Ort geben können als Ägypten, das Land der Pharaonen und tausend Geschichten, die zu hören ich kaum erwarten konnte.
Welche Schätze mochten dort auf uns warten? Welches Wissen, verborgen seit Jahrhunderten unter dem Sand der Wüste?
Weil er fürchtete, dass konkurrierende Expeditionen Howard Carter zuvorkommen könnten, hatte Lord Carnarvon ein Geheimnis aus dem Ziel unserer Grabungen gemacht. Er hatte uns lediglich wissen lassen, dass die Entdeckung des Grabes von allergrößter Wichtigkeit sein würde.
Mit dieser Aussicht traten wir die Reise an.
Neugierig. Und zu allem bereit.
Nachdem wir Gibraltar hinter uns gelassen hatten, befiel mich eine seltsame Neugierde. Ich wanderte an Deck umher, genoss den Anblick des tiefblauen Meeres und harrte des Moments, in welchem die
Demeter
unser Ziel erreichen würde. Immer seltener dachte ich an das Leben, das ich in England zurückgelassen hatte; an das größtenteils noch vor mir liegende Studium und die Zukunft, die bereits minutiös geplant im Kopf meines Verlobten zu existieren schien. An die Stelle jener Gedanken traten nun Erinnerungen an einige Vorlesungen in alter Geschichte, zu denen ich Tom hatte begleiten dürfen, an skizzenhafte Zeichnungen in staubigen Büchern und Berichte über die letzten Funde in Theben und Memphis und El-Amarna.
In Alexandria angekommen, bestiegen wir umgehend ein Segelschiff, welches uns nilaufwärts nach Luxor bringen sollte. Dort, so wollte es die Vereinbarung, würde uns Howard Carter in Empfang nehmen.
Kairo und die großen Pyramiden passierend, folgten wir dem Fluss bis nach Theben, dem Sitz der alten Herrscherdynastien. Vor meinem geistigen Auge zogen Heere durch die Wüste, kündeten vom Ruhm vergangener Könige, zogen Lastkähne voller Steine hinauf Gizeh, spielten sich die Dramen ab, die in den Geschichtsbüchern so leblos dargestellt werden. Einzig die Hitze und die Moskitos warfen Schatten auf die ersten Eindrücke dieses fernen Landes. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, unschuldig und unwissend. Ein neunzehnjähriges Mädchen war ich, das noch immer nicht vollständig verstanden hatte, welches Geschenk ihm gemacht worden war.
Selbst Tom konnte seine Begeisterung kaum verbergen. Fortwährend machte er sich Notizen in dem kleinen schwarzen Buch, das er unablässig mit sich herumtrug und in welchem er seine Eindrücke und Gedanken in Form von Berichten und skizzenhaften Zeichnungen festhielt. Während er an Bord stand und die grünen Ufer des Flusses an uns vorbeizogen, konnte ich in seinen Augen den Jungen wiedererkennen, in dessen Bett ich als kleines Mädchen gekrochen war, um mich von seinen erfundenen Geschichten in den Schlaf wiegen zu lassen. Fast schien es, als hörte ich erneut den Klang seiner Stimme, die Welten voller Heldinnen und Abenteuer in fernen Ländern heraufbeschwor. In gewisser Weise war diese Reise wie eine dieser Geschichten.
Nur war dies die Wirklichkeit.
Eine Wirklichkeit, in der wir am späten Nachmittag des 13. August des Jahres 1920 endlich Luxor erreichten, die alte Stadt der Könige, wo uns ein freundlicher Einheimischer mittleren Alters erwartete, der sich als Rais Ahmed Gurgar, Vorarbeiter der Carter Expedition, vorstellte.
»Willkommen in Karnak«, begrüßte er uns. »Mr. Carter entschuldigt sich. Wir fanden den Eingang zu einem neuen Grab diesen Morgen.« Ahmed Gurgars zusammengekniffene Augen musterten uns neugierig. Er trug einen braunen Kaftan und abgewetzte Sandalen. Zwei seiner Begleiter kümmerten sich um unser Gepäck und verluden es auf einen kleinen Lastwagen. »Die Reise war sicherlich anstrengend, und doch hoffe ich, dass Ihnen unser Land gefällt.«
»Wir können es kaum erwarten, die Ausgrabungen zu sehen«, gestand Tom.
»Bisher haben wir noch nichts gefunden.«
»Aber Sie sagten doch, man habe erst heute Morgen ein Grab entdeckt.«
Ahmed grinste breit und entblößte eine Reihe schlechter Zähne. Er roch nach Tabak, als er antwortete: »Ja, Miss Holland. Aber es ist nur ein Grab. Nicht
das
Grab, Sie verstehen? Gräber sind viele zu finden im Tal.« Er bedeutete uns, in die Fahrerkabine des Lastwagens zu klettern. »Mr. Carter sucht ein großes Grab.« Er warf uns einen verschwörerischen Blick zu. »Ein Königsgrab.
Das
Königsgrab, Sie verstehen?«
Tom und ich nickten gleichzeitig, obwohl wir nicht im Geringsten verstanden, nach
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