Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Mädchen unwillkürlich an reißendes Fleisch.
Wieder war ein leises, tiefes Knurren zu vernehmen.
Die stickige, warme Luft wurde nun durchdrungen von einem stechenden Geruch nach Blut und Urin.
»Wir sollten zurückgehen«, schlug Emily vor.
»Zu den Schritten, die uns folgen?«
Emily wusste, dass das kein Ausweg war.
Mit langsamen, behutsamen Schritten näherten wir uns der Tunnelkrümmung, furchtsam der Dinge harrend, die dahinter verborgen sein mochten.
Dann sahen wir es.
Instinktiv hielt Emily sich eine Hand vor den Mund.
Auf dem Boden, am Fuße einer der Rolltreppen, lag der Körper eines jungen Mannes, dessen zerfetztes Gesicht uns zugewandt war. Über ihm kauerte die Gestalt einer Frau, den leblosen Kopf des Mannes in den klauenhaften Händen, ihr Gesicht in der klaffenden Wunde am Hals des Mannes verborgen. Schwarzes Blut sprudelte aus der Wunde, und es schien, als tränke die Frau davon, als nähre sie sich aus der zerfetzten Halsschlagader ihres Opfers. Das blonde Haar das Mannes war blutgetränkt, ebenso wie sein Mantel und der Nadelstreifenanzug.
Die Frau schenkte uns keine Beachtung.
Hin und wieder ließ sie ein zufriedenes tiefes Knurren verlauten, während sie vom Blut des Mannes trank.
»Was machen wir jetzt?«
Ich zuckte die Achseln.
Der Weg zur Oberfläche war uns jedenfalls verwehrt, und während ich noch darüber nachdachte, welche Möglichkeiten uns offen stünden, geschahen zwei Dinge gleichzeitig.
Zum einen bemerkte Emily leise Schritte direkt hinter uns.
Zum anderen wurde sich die Frauengestalt am Boden unserer Gegenwart bewusst.
Sie hob den Blick, und wir starrten in wilde, in Furchterregendem Rot aufblitzende Augen, die nichts Menschliches mehr erkennen ließen. Es war das Gesicht einer dunkelhäutigen Frau, zu einer Grimasse verzogen und über und über mit Blut besudelt. Sie verzog die Lippen zu einem spöttischen, raubtierhaften Lächeln und entblößte dabei spitze Zähne.
»
Khàzar l’achnàch
«, sprach sie mich in einer mir unbekannten Sprache an.
Ihre Stimme. Kalt, ruhig, unmenschlich.
Langsam erhob sich das Wesen.
Ließ den Kopf des Opfers achtlos mit einem nassen Geräusch auf den Steinboden fallen. Ihr insektenhafter Körper wurde von einem bis zum Hals zugeknöpften Ledermantel verborgen. Sie stand inmitten einer sich auf dem Betonboden ausbreitenden Blutlache.
»Lassen Sie uns von diesem Ort verschwinden,« hörte ich eine Stimme hinter mir sagen.
Erschrocken drehte ich mich um und erkannte zu meiner Überraschung jenen Mann wieder, der uns damals im
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den Weg hinauf zu dem Zimmer gewiesen hatte, in dem Eliza Holland uns empfangen hatte. Jetzt legte mir der gleiche Mann seine Hand auf die Schulter und zog mich langsam nach hinten in den Tunnel zurück. Auch Emilys Hand ergriff der junge Mann mit dem ernsten Gesicht. »Ich bin«, stellte er sich flüchtig vor, »Elizas Bruder.« Er nickte uns kurz zu. »Thomas.« Und ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung, damals im Ägyptischen Museum in Kairo, und das Gefühl unbestimmten Wiedererkennens, das mich vor wenigen Tagen beschlichen hatte, als er uns zum Zimmer seiner Schwester hinaufgeführt hatte. An das Land am Nil erinnerte ich mich und die Hitze und daran, was McDiarmid mir offenbart hatte.
Die dunkelhäutige insektenhafte Frau kam derweil einige Schritte auf uns zu, blutige Abdrücke auf dem Boden hinterlassend.
Als sie Elizas Bruder bemerkte, fauchte sie ihn böse an.
»
Chissar aton’lònnech
!«
Elizas Bruder verbeugte sich vor dem insektenhaften Ding: »
Chissar’ioch Chàrà-tissa’ut
.«
Die Gestalt rührte sich nicht vom Fleck.
Funkelte uns nur böse und gierig an.
Dann lachte sie laut auf.
»Wir müssen uns beeilen«, drängte Thomas Holland.
Die Kreatur warf uns einen letzten Blick zu und ging dann in aller Ruhe zurück zu ihrem Opfer.
»Sie ist noch immer auf der Jagd.«
Thomas Holland führte uns flink durch einen der Versorgungsschächte und über eine gewundene Treppe hinauf nach London, wo uns seine Schwester erwartete.
»Emmy!«
Eliza Holland umarmte das Mädchen.
Hinter ihrem Rücken erhob sich die gusseiserne Glaskonstruktion der St. Pancras Station aus dem Schnee. Die Straßen waren menschenleer. Nur die Schneeflocken ließen erahnen, wie es um London bestellt war.
»Du hast großes Glück gehabt«, sagte Eliza, und die Erleichterung schien nicht gespielt zu sein. »Und, Wittgenstein, ich weiß, was McDiarmid Ihnen gesagt hat.« Sie
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