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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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wartete nicht einmal meine Antwort ab. »Die Zeit, meine Freunde, drängt.« Sie griff in ihren Mantel und zog ein Notizbuch heraus. »Das, Emily, wird dir helfen, die Dinge klarer zu sehen. Wenn du London verlässt, wirst du viel Zeit mit dem Lesen verbringen können.« Mit diesen Worten drückte sie dem Mädchen das Buch in die Hand.
    »Was steht darin geschrieben?«
    Eliza lächelte.
    Traurig.
    Verletzlich.
    »Mein Leben, Emily. Nichts weiter. Nun ja, ein Teil davon.«
    Dann wandte sie sich mir zu.
    »Passen Sie auf Emily auf, wenn Sie nach Paris gehen.«
    »Nach Paris?«
    Eliza seufzte. »Paris, die Stadt der Liebe.« Bitter klangen die Worte aus ihrem Mund. »Wo, Wittgenstein, könnte man der Hölle näher sein?«
    Ich starrte sie schweigend an.
    »McDiarmid denkt, dass er die Dinge versteht«, sagte Eliza. »Doch, glauben Sie mir, er versteht rein gar nichts. Die beiden Mädchen sind wichtig. Und Tom, mein Bruder, ist ihnen während der vergangenen Wochen auf Schritt und Tritt gefolgt.«
    »Dann sind Sie der nächtliche Verfolger gewesen?«
    Tom Holland nickte.
    »Um dich, Emily, und ganz besonders Aurora vor jener Kreatur zu schützen, der ihr eben begegnet seid.« Eliza berührte Emilys Haar. »Carathis ist ein Tier. Ein Monster. Es ist noch nicht zu spät für uns alle. Das musst du mir glauben.«
    »Was sollen wir jetzt Ihrer Meinung nach tun?«
    Eliza sah sich um.
    Sie wirkte nervös.
    Unruhig.
    Wie ein Tier, das seine Jäger wittert.
    »Die Wege, die wir gehen müssen, führen nach Paris.«
    »Was wissen Sie von alledem?«
    »Wir haben keine Zeit, Wittgenstein.« Erneut die hastigen Blicke. »Ich werde Euch finden. Wo immer Ihr sein werdet.«
    »Wir sollten jetzt gehen.« Tom Holland trat neben seine Schwester und ergriff ihre Hand. »London ist kein sicherer Ort mehr für uns.«
    »Das ist es niemals gewesen«, gab Eliza fast schnippisch zur Antwort.
    Sie riss sich von ihrem Bruder los und umarmte Emily erneut, von ganzem Herzen.
    »Denk daran, was ich dir damals gesagt habe, Emily. Es ist die Vergangenheit, die nicht stirbt. Die noch immer wichtig ist. Die die Gegenwart beeinflusst, wie die Gegenwart die Vergangenheit beeinflusst.«
    Nichts, dachte Emily mit einem Mal, stirbt jemals für immer.
    Eliza sah Emily ein letztes Mal an.
    Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und folgte ihrem Bruder in Richtung des großen Bahnhofs.
    Wir blieben zurück.
    Im Schneegestöber.
    London, dachte ich, sieht eigentlich aus wie immer.
    Emily stand still neben mir und sah zum Himmel hinauf. Und die Schneeflocke, die auf ihrem Mondsteinauge liegen blieb, sah aus wie eine Träne.
    Die Welt ist gierig, und manchmal verschwinden Menschen in ihrem Schlund, ohne jemals wieder gesehen zu werden.
    Das Zugabteil gehört uns und den Gesprächen, die wir wohl während der Fahrt führen werden.
    »Was glauben Sie, Wittgenstein«, fragt das Mädchen, »werden wir sie finden?«
    Emily sitzt mir gegenüber.
    Lady Mina neben sich.
    »Fragen Sie nicht«, antworte ich ihr.
    Müde betrachte ich mein Spiegelbild im Fenster, hinter dem sich die letzten Fahrgäste anschicken, den Zug zu besteigen.
    »Sie lebt noch«, sagt Emily.
    Bestimmt.
    Ich schweige.
    Denke an McDiarmid aus Islington.
    An Eliza Holland.
    »Und Micklewhite?«
    Sie zuckt die Achseln.
    Sieht mich fragend an.
    »Wohin wird uns das alles nur führen?« Emily hält das Tagebuch ihrer Freundin in den Händen. Öffnet es. Betrachtet die geschwungene Handschrift.
    Und als sich der Orient-Express in Bewegung setzt, erzähle ich Emily von der Schneeflocke, die ihr Mondsteinauge benetzt hat und die gar nicht daran gedacht hatte zu schmelzen.
    Und Emily, die versteht, was ich meine, lächelt, wie ich es sie in letzter Zeit nur viel zu selten habe tun sehen.
    Aus
    Eliza Hollands
    Aufzeichnungen
    Post-it
    Es gibt keine Zufälle.
    Das sagte Wittgenstein schon damals, als ich ihm fernab der Heimat begegnete. Damals, als die Dinge, die mittlerweile so lange Schatten auf die Stadt der Schornsteine werfen, begannen. Damals, als ich so jung war und unschuldig, wie eine junge Frau es nur sein kann, die sich dem Sand der Zeit anvertraut. Alles, was damals in Ägypten begann, wird schon bald ein Ende finden. Das hoffe ich inständig.
    Dies, Emily Laing, ist meine Geschichte.
    Gonville and Caius
, Cambridge
    28. April 1968
(Datum der Niederschrift)
    Am 3. August des Jahres 1920 verließen wir Salisbury in der Mittagszeit und erreichten am späten Nachmittag Southhampton, wo wir das

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