Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
hätte. Sie hatte dieses Gewächs schon einmal gesehen, nur war es um ein Vielfaches größer gewesen.
Emily fragte sich, worauf Marlowe hinauswollte.
»Es war eine Pflanze namens Menora. Ein kleiner Baum mit sieben Ästen.«
»Ein Ableger von Pairidaezas Stock?«
Tristan Marlowe schnippte bestätigend mit den Fingern. »Sie sagen es!« Der Lebensbaum, der einst im Paradies gestanden und den Lucifer in der Hölle gehütet hatte, war dazu in der Lage gewesen, das Leben zu verlängern und den Körper vor der Zeit zu bewahren. Kinder hatte der Lichtlord entführen lassen, damit sich der Lebensbaum von deren Unschuld hatte ernähren können.
»König Salomon besaß einen Ableger vom Lebensbaum?«
»So steht es geschrieben.«
»Was hat er damit getan?« Emily ahnte, dass die Geschichte kein gutes Ende haben würde.
»König Salomon gierte nach dem ewigen Leben. Er ernährte die Menora mit der Unschuld von Kindern. Das jedenfalls steht in den alten Texten. Er hat Kinder zu sich bringen lassen und sie dann geopfert.«
Es schwindelte Emily.
Die Dinge wiederholten sich.
Immer und immer wieder.
»Was hat die Menora mit der Lade des Bundes zu tun?«
»In den Schriftrollen steht, die Menora sei die Wächterin der Lade gewesen.«
»Das verstehe ich nicht.«
Tristan Marlowe wirkte verlegen. »Nun ja, ich verstehe es auch nicht ganz.«
»Aber?«
»Es steht geschrieben, dass es so war.«
Emily begann zu ahnen, worauf er hinauswollte.
»Um die Lade des Bundes öffnen zu können, muss man sich der Menora bedienen.« Er klopfte auf das alte Papier. »Hier steht es geschrieben.«
»Lord Gabriel weiß davon.«
»Weil er Zugang zu dieser Bibliothek hatte, als er Pandaemonium besetzt hielt.«
»Und das bedeutet?«
Tristan Marlowe zuckte die Achseln. Wirkte zerknirscht. »Ich weiß es nicht. Das ist das Problem. Ich bin mir einfach nicht sicher.«
»Sie glauben, dass man uns eine Falle stellt?«
»Ja!«
Emily wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Zum ersten Mal, seit sie Tristan Marlowe kannte, beschlich sie das überaus seltsame Gefühl, dass er sich um sie sorgte.
»Die Menora ist vielleicht mit dem Tempel des Salomon nach Prag gereist.«
Emily brummte der Kopf von all den Mutmaßungen.
»Was genau ist mit dem Tempel des Salomon geschehen?«
»Man glaubt, er sei verbrannt.«
Der Tempel wusste von den Gräueltaten, die in seinem Namen begangen worden waren und die den Moloch nährten. Vom Tempelberg der Stadt Jerusalem aus sah er, wie die Menschen einander abschlachteten um der Himmel willen. Er wusste, dass der Moloch ein Königreich der Himmel an diesem Ort errichtet hatte. Ein Königreich, das jedermann sein Eigen nennen wollte. Damals schon. Menschen kämpften um die Stadt und starben und machten Platz für die Kinder der Gefallenen, die ebenfalls nach Jerusalem kamen, um zu sterben, wie es ihre Ahnen getan hatten. Es war ein Kreislauf, der nicht enden wollte. Ein Kreislauf, der den Moloch gedeihen ließ.
Dann jedoch eroberte der römische Feldherr Titus Jerusalem. Er ließ den Tempel plündern, und anschließend entfachten die Soldaten eine Feuersbrunst, die tagelang auf dem Tempelberg wütete und alles bis auf die Grundmauern niederbrannte.
»Davon habe ich bereits gehört.«
»Der Tempel des Salomon aber hatte Jerusalem gerade noch rechtzeitig in diesem Chaos verlassen können.«
Das mächtige Gebäude hatte die Gunst des Augenblicks genutzt. Es war, als hätten die mächtigen Steine geahnt, welche Mordlust und welchen Wahnsinn die Jahrzehnte, die vor ihnen lagen, noch bringen würden. Sie hatten nicht länger dem Moloch zu Diensten sein wollen. Und so hatte der Tempel beschlossen, die Gelegenheit zu ergreifen und die Stadt der Menschen, die jene Steine, aus denen er bestand, behauen hatten, zu verlassen und sich auf die Suche nach einem Ort zu begeben, an dem er in Frieden würde leben können.
»Sie meinen, der Tempel hat sich auf Wanderschaft begeben?«
Tristan Marlowe antwortete: »Er zog durch die halbe Welt und kam am Ende dann nach Prag, wo er eine neue Heimat fand.« Wo seit langer Zeit schon wahre Gläubige lebten, die sich seiner annahmen und ihn pflegten.
Emily fragte sich erneut, warum Tristan Marlowe dies alles ausgerechnet ihr erzählte.
»Schön und gut, doch was hat das alles mit uns zu tun?«
Die stahlblauen Augen musterten sie. »Ist das denn nicht offenkundig?«
Emily überlegte kurz.
Schüttelte den Kopf.
»Nein, eigentlich nicht.«
Tristan Marlowe seufzte laut, und
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