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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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haben, fliehen vor dem Licht und weichen den wilden Kreaturen des Tages, die ihre Welt in Besitz nehmen, wie sie es seit Anbeginn jener Gefilde bereits getan haben.
    Aurora Fitzrovia stand an der Balustrade und sah auf die schneebedeckten Ebenen hinab, wo graue Würmer sich durch den Schnee wanden, bleiche Falter die Schwingen ausbreiteten und insektenhafte Nekir zwischen den toten Gerippen riesiger Tiere ihre Netze zu spinnen begannen.
    »Was hat sie dir gesagt?« Neil umarmte sie von hinten und küsste sie aufs Ohr. Leise war er zu ihr gekommen. »Du bist ja ganz betrübt.« Als sie aufgewacht war, da hatte er noch tief und fest geschlafen, und sie hatte genossen, dass er da war und sie ihn anschauen konnte. Seine Lider hatten unruhig geflackert, und sie hatte sich gefragt, wovon er wohl träumte.
    »Emily hat gesagt, dass die Welt eine Lügnerin ist.«
    »Das klingt nicht sehr beruhigend.«
    »Ich weiß.«
    Sie hatte nur kurz mit ihrer Freundin reden können. Als Aurora, noch mit dem Schlaf in den Augen, durch die Hallen Pandaemoniums geschlurft war, hatte sie Emily allein auf einer Treppenstufe sitzend gefunden. Nachdenklich, das rote Haar zerwuschelt, als habe auch sie kein Auge zugetan in der kurzen Nacht. Sie hatte sich wortlos neben ihre Freundin gesetzt, den Arm um sie gelegt und gewartet.
    Emily hatte nicht glücklich ausgesehen.
    Dann hatte sie ihr mitgeteilt, dass die Welt eine Lügnerin sei. Dass Marlowe mit ihr gesprochen habe. Eliza Holland ebenso. Und dass sie noch fortwährend an Adam Stewart denken müsse und es ihr schier das Herz zerreiße, weil sie ihn nicht aus dem Kopf bekam.
    »Du wirst ihn wiedersehen.«
    »So was«, hatte Emily erwidert, »passiert nur in Filmen.«
    Tristan Marlowe, dem Aurora kurz zuvor über den Weg gelaufen war, hatte mit Mr. Fox und Mr. Wolf gesprochen, die von ihren Wachgängen in die große Halle zurückgekehrt waren, um sich vor einem der Kaminfeuer zu wärmen. Zugenickt hatte er ihr zur Begrüßung, doch das war auch schon alles gewesen.
    »Weißt du noch, wie es im Waisenhaus war?«
    Aurora hatte schnell ihrer Freundin kalte Hand ergriffen. »Wir haben uns immer ausgemalt, wie es sein würde, wenn wir uns davonstehlen könnten. Wenn wir die Welt bereisen würden.« Das war einer der vielen Träume gewesen, welche die Waisenmädchen geträumt hatten. Oft hatten sie darüber gesprochen, was denn geschehen würde, wenn sich ihre wahren Eltern fänden. Was, wenn die Eltern sie mit Absicht ins Waisenhaus gegeben hätten und dafür bezahlten, dass man sie dort von ihnen fern hielt? In manchen dieser Träume waren Aurora und Emily den Eltern gegenübergetreten, und man hatte ihnen Geld angeboten, damit sie niemals wiederkämen. Mit diesem Geld waren sie dann in die Welt hinaus gereist, hatten romantische Abenteuer bestanden und am Ende dann endlich das Glück gefunden, nach dem sie so lange gesucht hatten. Dass die Wirklichkeit anders aussehen würde, hatten sie geahnt. Doch niemals ausgesprochen, weil man Träume behüten muss.
    Emily, die sich noch gut an all dies erinnern konnte, hatte still gelächelt. »Du bist noch da, Aurora.«
    »Was hast du?« Aurora hatte Emilys Hand betrachtet, die sie festhielt. Weiße Haut, dunkle Haut. Wie die Tasten eines Klaviers, die nur gemeinsam eine schöne Melodie hervorzaubern konnten.
    »Du siehst aus, als würdest du gleich losheulen.«
    »Keine Angst, das werde ich schon nicht.«
    »Was ist denn nur los?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Möchtest du darüber reden?«
    »Nein. Nicht jetzt. Später, vielleicht.«
    Der Wind hatte im Treppenhaus geheult wie ein gefangenes Lied.
    »Ist gut.«
    Stille.
    Nur das Windheulen.
    Dann: »Aurora?«
    »Ja?«
    »Bleib einfach bei mir. Einen Moment nur noch.«
    So waren sie auf der Treppenstufe sitzen geblieben, bis die Kälte ihnen in die Glieder kroch und sie von dannen jagte.
    Jetzt war Aurora bei Neil Trent. Und Emily stand irgendwo weiter hinten bei ihrem Mentor. Die beiden sahen nicht so aus, als wäre das, worüber sie gerade sprachen, angenehm.
    »Wir müssen uns vorsehen«, sagte Aurora zu Neil.
    Neil, der ihr aufmerksam zugehört hatte, wusste nicht recht, was er von der ganzen Sache zu halten hatte. »Jetzt, da ich hier bin, werde ich auf dich aufpassen«, versprach er ihr und küsste erneut ihr Haar, das wie Heu und Rosen roch.
    »Eliza ist die einzige Verwandte, die ich habe.« Aurora wusste, wie absurd dies alles war, und doch war es die Wahrheit. Niemand konnte leugnen, dass ihre

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