Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
bestanden, sofort zusammenrückten und die eben entstandene Lücke füllten.
Niemals zuvor hatte Emily einen derartigen Ort gesehen und staunte, als Tristan Marlowe vor ihrer Nase eine Schriftrolle aus der Wand zog und durch die Lücke eine Wolke aus Schnee in den Raum wirbelte. Dann schloss sich die Lücke wieder, weil sich ein benachbartes Buch dort hineinzwängte und der Rest der Wand so nach unten rutschte, dass kein Spalt mehr übrig blieb.
»Es könnte eine Falle sein«, sagte Tristan Marlowe. »Dies alles hier. Lord Gabriel könnte Eliza Holland benutzen, damit sie uns alle genau dorthin bringt. Nach Prag, zum Tempel des Salomon.«
»Aber warum?«
»Damit wir die Lade des Bundes finden.«
Emily starrte ihn an.
»Selbst in der Bibel«, erklärte Tristan Marlowe, »wird die Lade des Bundes oft als tödliche Waffe beschrieben. Als eine Macht, die den Feinden Israels Tod und Verderben brachte.« Marlowe ging unruhig auf und ab, während er unentwegt redete, und erinnerte Emily in dieser Eigenart an Maurice Micklewhite. »Bei der Eroberung Jerichos wurde der Schrein in einer feierlichen Prozession dreimal um die Stadt getragen, dann erklangen laute Trompeten, und die Mauern stürzten ein.« Er redete und redete. »Als die Philister die Lade des Bundes stahlen und in ihr Lager verschleppten, da brach in ihren Reihen eine fürchterliche Seuche aus, der die Diebe allesamt zum Opfer fielen. Und als Ussa, der kein Priester war, die Lade des Bundes auch nur berührte, da fiel er auf der Stelle tot um.« Tristan Marlowe flüsterte: »Der Zorn des allmächtigen Träumers, so steht es in vielen Quellen geschrieben, soll in dem Schrein wohnen.«
Das war es, was Eliza gegen die Mala’ak ha-Mawet einzusetzen gedachte.
»Wenn wir Lucifer erst befreit haben«, so Eliza, »dann wird er die Lade zu nutzen wissen.«
Genau an diesem Punkt setzte Tristan Marlowes Befürchtung an. »Aber was geschieht, wenn Lucifer tot ist und wir nur dazu benutzt werden, den Standort der Lade zu finden und sie zu öffnen?«
Emily berührte einige der Buchrücken, die sich lebendig anfühlten. »Gabriel hat keine Ahnung, wo sich die Lade befindet?«
»Das, denke ich, sollten wir in Betracht ziehen.« Er rollte die Schriftrolle auf dem einzigen runden Steintisch in der Mitte des Raumes aus. »Was, wenn die Mala’ak ha-Mawet nicht dazu in der Lage sind, den Tempel zu betreten?« Die stahlblauen Augen musterten Emily neugierig abwartend, und das Mädchen hatte den Eindruck, als erwarte der junge Mann nun Lob für das, was er herausgefunden hatte. »Es wäre doch möglich, dass man auch Mylady Holland nur benutzt.«
»Um an die Macht des Träumers zu gelangen?«
»Wer weiß das schon?«
»Sie glauben, dass Lucifer wirklich tot ist?«
Er seufzte. »Ich wollte es Mylady Holland gegenüber nicht erwähnen, aber … ja, es könnte doch sein.« Die Schriftrolle, die er auf dem Tisch ausgebreitet hatte, war an den Rändern zerfranst und voller gelbbrauner Flecken. »Um den Tempel zu finden, müssen wir die Rabbiner befragen. Gabriel ist ein abtrünniger Engel. Kein Rabbiner würde ihm den Standort der Lade verraten.« Er beugte sich über die Schriftrolle und zeigte ihr eine Reihe von uralten Schriftzeichen. »Da gibt es aber noch etwas, was seltsam anmutet.«
»Nun machen Sie es nicht so spannend.«
»Der Tempel«, erklärte er, »wurde vor langer Zeit von einem König namens Salomon erbaut. Er diente als Aufbewahrungsort für die Lade des Bundes. Doch Salomon, der geblendet war durch Reichtum und irregeleitete Weisheit, wurde im hohen Alter zu einem gar königlichen Ketzer, der seinen zahlreichen Haremsfrauen erlaubte, fremden Gottheiten Opfer zu bringen.«
Menschenblut floss über die Altäre im Hinnom-Tal, wo eine Gottheit namens Moloch verehrt wurde.
»In den Nazca-Schriftrollen steht zu lesen, dass Salomon Neugeborene und Kinder einem grässlichen Tod überantwortete.« Er holte tief Luft. »Moloch war eine finstere phönizische Gottheit, die durch des Königs Hände Missgunst säen ließ und reinsten Hass erntete.«
Und Salomon, wie auch viele seiner Nachfolger, huldigte dem Moloch.
»Da gab es eine Pflanze, die Salomon hütete wie ein Kleinod. Eine Pflanze, die angeblich aus dem Paradies stammte.« Er entrollte das Schriftstück weiter und zeigte dem Mädchen das Abbild der Pflanze. Knorrige alte Äste, ein dürrer Stamm, nur wenige Blätter. Die Form der Pflanze kam ihr bekannt vor. Viel zu bekannt, als dass es sie beruhigt
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