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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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fragte sich Emily auch jetzt, woher dieses Licht nur kam. War doch etwas wie eine Sonne zu erkennen, drüben am Horizont. War der Himmel doch blaugrau, obwohl dies ein Ort war, so tief in der Erde gelegen, dass alles nur Täuschung sein konnte, was sie umgab.
    »Warum waren Sie nach Prag gegangen, Wittgenstein?«
    »Die Entscheidung wurde mir aus der Hand genommen.«
    Sie zögerte. »Möchten Sie darüber reden?«
    »Ich weiß es nicht.« Immerhin war dies eine ehrliche Antwort.
    Und doch …
    Hatte ich ihr nicht bereits den Anfang der Geschichte im Kerker der Black Friars erzählt? Emily stand da, und ich sah eine Tochter, von der ich nicht einmal wusste, ob sie gesund das Licht der Welt erblickt hatte. Hätte ich mich meines eigenen Kindes nicht ebenso angenommen, wie ich mich dieses Waisenmädchens in der Tottenham Court Road angenommen hatte? Welche Pfade, fragte ich mich plötzlich, hält das Schicksal nur für uns bereit? Mylady Hampstead gab es nicht mehr. Sie war gestorben, von der Hand ihres Sohnes. Und Lady Minas Schicksal war ungewiss. Emily Laing, das wurde mir seltsamerweise gerade in diesem Augenblick und an diesem unwirklichen Ort bewusst, war neben Peggotty der einzige Mensch, der mir so etwas wie eine Familie war.
    »Sie sehen blass aus.« Es war aufrichtige Besorgnis.
    »Ich sehe immer so aus«, gab ich zur Antwort.
    Sie musste lächeln.
    Dieses Kind!
    »Was ist passiert?«
    Ich vergewisserte mich kurz, dass sich keine neugierigen Ohren in der Nähe aufhielten.
    »Nur einige Stunden nachdem Rima London verlassen hatte«, erinnerte ich mich, »da wurde mir von zwei ehemaligen Mitschülern aufgelauert. Sie sollten mich nach Salem House bringen. Die Metropolitan suchte Rima bereits, und ich sollte wieder ein Schüler von Salem House werden. Rima Wittgenstein war eine Mörderin, nach der gefahndet wurde, und ich hatte ihr Unterschlupf gewährt, was mich zu einem Mitschuldigen machte.«
    »Man wollte Sie wieder unter Kontrolle wissen.«
    »Genau so war es.«
    Kein Tag schien seitdem vergangen zu sein, keine Stunde, kein Augenblick.
    »Ich widersetzte mich ihnen, und sie drohten mir. Sie wussten, was man Rima anzutun versucht hatte, und zeigten nicht die Spur von Mitgefühl.« Ich ließ meine Blicke über die verschneite Hölle wandern und fragte mich, ob ich damals wohl anders gehandelt hätte, wäre mir die Zukunft, in der ich mich nun befand, schon so klar gewesen. »Die beiden waren Trickster, und ich sah es ihren verschlagenen Augen an, dass sie Rima verurteilten. Rima hatte die Trickster verbrannt, die sie und das Kind angegriffen hatten. Ja, sie wussten davon und wollten mich abführen, als hätte ich mich eines Verbrechens schuldig gemacht, als ich Rima versteckt hatte.«
    Nach all den Jahren waren die beiden Gesichter noch immer lebendig. Die kalten Augen und die spöttisch verzogenen Mundwinkel.
    »Ich sagte ihnen, dass ich nicht mitkäme. Dass ich Salem House hinter mir gelassen hätte. Doch das, Miss Laing, ließen sie nicht gelten. Sie wollten Gewalt anwenden und …« Ich schnappte kurz nach Luft. Spürte die Erinnerung, die mir mit aller Kraft entgegenschrie, dass die Vergangenheit ein lebendig schlagendes Herz war, das im gleichen Takt zu schlagen vermochte wie mein eigenes. »Ich habe sie getötet.«
    Emily senkte den Blick.
    »Schauen Sie mich ruhig an«, forderte ich sie auf. »Es ist passiert, und nichts und niemand wird es ungeschehen machen können. Ja, ich habe die beiden getötet, und zwar vorsätzlich. Sie wissen, was zu tun ich in der Lage bin, wenn ich will.«
    Das Mädchen nickte.
    »In Mornington Crescent ist es passiert. In der U-Bahn. Des einen Herz hatte zu schlagen aufgehört, bevor der Zug in den Bahnhof einfuhr. Die Schreie des anderen verfolgen mich noch immer in meinen Träumen.« Die Northern Line, die aus High Barnet kam, hatte beide Trickster überrollt, ohne dass sie ihre eigenen Talente zu nutzen in der Lage gewesen wären.
    »Und dann?«
    Skeptisch blinzelte ich ins Licht. »Keine Schuldzuweisungen?«
    »Nein.«
    »Ich war so jung gewesen und nach den Morden mit einem Mal so alt.«
    »Hat es Zeugen gegeben?«
    »Einen Bahnsteig voller Passanten.«
    »Und?«
    »Ich bin geflohen.«
    »Sie sind geflohen?«
    »Sagte ich das nicht bereits?«
    »Tut mir Leid.«
    »Ich suchte augenblicklich Mylady Hampstead und Maurice Micklewhite auf und gestand den beiden, was ich getan hatte.« Sogar an den Geruch des Salons in Marylebone erinnerte ich mich noch, als sei dies alles

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