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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sagte ihm der Rabbi, und dass alle Sünde, die er auf sich laden würde, in dem Porträt zu leben gezwungen sei. Niemals würde er älter werden, und immer solle er den Menschen hilfreich zur Seite stehen.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Der Jüngling wollte zurück zu seiner Familie, doch jagte man ihn fort, weil niemand ihm Glauben schenkte. Er sei widernatürlich, rief man ihm nach. Man habe ihn zu Grabe getragen. Alle hätten es gesehen. Und so floh er. Versteckte sich hier in der Synagoge, dort oben auf dem Dachboden.« Er wirkte nachdenklich, als schmecke er eine bittere Erinnerung. »Entscheidend aber war etwas anderes. Etwas, das er empfunden hatte, als seine Familie und die Menschen, in deren Mitte er sein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte, ihn von dannen gejagt hatten. Als er den Hass und die Aggression gespürt hatte, da hatte er sie in sich aufgenommen. Wie eine Mahlzeit, so hatten sie ihn gestärkt. Und er war zu Rabbi Löw gegangen, um ihn um Rat zu bitten, doch konnte sich der Rabbi diese Entwicklung nicht erklären. Er versprach jedoch, in den alten Schriften nach einer Lösung für diesen Zustand zu suchen.« Steerforth machte eine Pause. Seufzte. »Der Jüngling indes ging heimlich durch die Stadt, und immer, wenn er Streit und Missgunst witterte, dann atmete er diese ein, und für ihn waren sie wie köstliche Speisen, die ihn jung und schön und stark bleiben ließen.« Steerforth erhob sich von dem Stuhl. Betrachtete ihn. »Doch dann erfuhr der Jüngling, dass der Rabbi ihn nicht aus Selbstlosigkeit erschaffen hatte. Sie müssen wissen, dass der Jüngling zu lesen in der Lage war, und so fand er eines Tages, als der Rabbi eingenickt war, jene Zeilen, die ihm die Wahrheit offenbarten. Rabbi Löw, der alt war, wollte nicht, dass sein Leben endete. Er hatte einen lebendigen Körper geschaffen und einen Weg gefunden, diesen mit seinem Geist zu besetzen. Ja, der Jüngling verstand nur zu gut, dass er nichts anderes war als das Instrument, mit dem sein Vater die Unsterblichkeit erreichen würde.«
    »Was hat er getan?«
    »Er hat Rabbi Löw getötet. Im Schlaf erstickt.« Er berührte das Holz des Stuhles.
    »Sie waren dieser Jüngling, Steerforth.« Es war eine Feststellung.
    »Ich bin aus Prag geflohen. Im Laufe der Jahre stellte ich fest, dass ich nur langsam älter wurde und dass ich mich, wenn ich Neid und Missgunst trank, wie neugeboren fühlte. Lange, lange Jahre war ich so auf der Wanderschaft und tat, was meiner Natur entsprach. Konnte ich denn anders sein, als ich erschaffen worden war? Nein, ich war das, was Rabbi Löw erschaffen hatte.« Er seufzte erneut. »Ich, Wittgenstein, war der erste richtige Golem von Prag.«
    »Warum sind Sie in die Dienste Mushroom Manors getreten?«
    »Das bin ich nicht.«
    »Ach?«
    »Sie misstrauen mir noch immer?«
    »Ich bin, wie ich bin«, gab ich zur Antwort.
    Steerforth ging in der Synagoge auf und ab. »Auf meinen Reisen quer durch Europa traf ich in Genf auf einen gewissen Lord Ruthven, mit dem ich eine Affäre hatte. Er war weltgewandt, und ich war jung und unerfahren. Ich vertraute mich ihm an, und später dann muss Lord Ruthven, der Kontakte zu einem mächtigen Haus in London unterhielt, jemandem von mir berichtet haben. Lord Mordred Mushroom jedenfalls tauchte in Prag auf, als ich selbst noch in Paris weilte. Er suchte nach dem Bildnis, von dem er gehört hatte. Und als er es gefunden hatte, da stach er mit einer Nadel hinein. Ich selbst war zu jenem Zeitpunkt auf einem Empfang und krümmte mich plötzlich vor Schmerzen. Das Bildnis, das ich sicher im Dach der Synagoge versteckt glaubte, musste entdeckt worden sein.«
    »So haben Sie Lord Mushroom kennen gelernt.«
    »Als ich in Prag eintraf, da war ich bereits um Jahre gealtert. Der Prozess hatte eingesetzt, nachdem ich die Schmerzen verspürt hatte. Lord Mushroom, der das Bildnis bereits außer Landes hatte schaffen lassen, erwartete mich in eben diesen Räumen. Und er unterbreitete mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte.«
    »Sie sollten mit ihm nach London kommen und einen Golem erschaffen.«
    »Er besaß das Bildnis, und ich war ihm ausgeliefert.«
    Ich dachte an den Golem, der in Whitechapel gemordet hatte. Der Nicodemus Manderley getötet und die Stadt der Schornsteine in blutige Unruhen gestürzt hatte.
    Unruhen, die, wie wir jetzt wussten, von den Black Friars und den Ratten angezettelt worden waren.
    »Man hat Sie nur benutzt«, stellte ich fest.
    »Wir alle«, erwiderte

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