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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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mit Aurora hinunter zum dunklen Fluss spaziert, um die Zukunft sehen und die Vergangenheit vergessen zu können? Am Mast des Schoners »Ismael« hatte man seinen Vater tot aufgefunden. Wie lange lag dies nun schon zurück? Sein Vater hatte sich das Leben genommen, weil man ihm die Handelsgesellschaft, die er mühsam und mit seinem Herzblut aufgebaut hatte, weggenommen hatte. Das hatte die Familie Trent ins Unglück gestürzt. Deswegen war Neil ausgesetzt worden. So hatte ihn Edward Dickens finden und aufziehen können. Erst Jahre später war es Edward Dickens und Neil gemeinsam gelungen, das Geheimnis zu lüften, das des Jungen Vergangenheit umgab.
    Nicht einmal gekannt hatte er seine Eltern. Seine frühesten Erinnerungen waren die Gerüche in dem alten Raritätenladen, durch dessen Tür das Schicksal ihm Emily Laing und Aurora Fitzrovia geschickt hatte, Jahre später.
    »Ich habe nur ein Bild in einer alten Zeitung gesehen«, hatte er Aurora damals gestanden. »Ganz grobkörnig. Es zeigte die Umrisse eines Mannes, eines Mannes in einer Seemannsjacke, der am Hauptmast eines großen Schiffes hing.« Irgendwie war ihm, als könne er sich an den Mann, der sein Vater war, erinnern, doch das war natürlich nichts als ein Hirngespinst. Er hatte seine Eltern kaum gekannt. Kein halbes Jahr mochte er alt gewesen sein, als sie ihn fortgegeben hatten. Als sie ihn dem Gutdünken des Schicksals überlassen hatten. Waisenkinder, dachte er, finden sich. Immer und überall auf der Welt. Vielleicht musste das so sein? Vielleicht war dies der Welten Lauf? Er hatte Aurora damals erblickt und sich in sie verliebt. Es waren ihre Augen gewesen. Ihr Lächeln. Doch ist es nicht das Herz, das im Lächeln spricht und einem aus den Augen zuzwinkert? Wenn es ein Schicksal gab, dann hatte es Neil Trent und Aurora Fitzrovia zusammengeführt. Es hatte sie getrennte Wege gehen lassen, und erneut waren sie zusammen.
    War es möglich, dass das Schicksal sich einen grausamen Scherz mit ihnen erlaubte und sie abermals zu trennen beabsichtigte? Nein, das wollte Neil nicht glauben.
    Aurora ging neben ihm her. Die Art, wie sie beim Gehen schaukelte, ließ ihn still in sich hineinlächeln. Das war Aurora Fitzrovia, sein Mädchen.
    »Was hast du?« Das war typisch. Immer bemerkte sie die Blicke, die er ihr heimlich zuwarf.
    »Irgendwie habe ich geglaubt, dass der Limbus für mich ganz andere Bilder bereithalten würde«, gestand er ihr.
    Sie wusste sofort, was er meinte.
    »Du denkst noch oft an ihn.« Das war eine Feststellung.
    »Wenn dieses London hier unsere gemeinsame Hölle ist, dann muss es doch einen Grund geben, warum sie so aussieht.«
    »Den gibt es bestimmt.« Sie zuckte die Achseln. Lächelte entwaffnend, blieb plötzlich stehen.
    »Neil?«
    Er sah sie an mit seinen blauen Augen. »Ja?«
    Lange hatte sie überlegt, ob sie ihn fragen sollte. Und es immer wieder hinausgezögert. Nun waren sie in der Hölle. Im Limbus. Gäbe es etwa einen Ort, der passender wäre?
    »Wirst du mich fragen?«
    Nun war es gesagt.
    Neil wollte gerade den Mund öffnen, als sie ihm ihren auf die Lippen legte.
    »Nicht jetzt, nicht hier.« Sie senkte den Blick. »Wenn wir wieder da sind, wo wir hingehören.«
    »Ich bin da, wo ich hingehöre.« Er küsste sie auf die Stirn.
    Das war alles, was Aurora hatte hören wollen.
    Und als sie weiterging, da fühlte sie sich mit einem Mal ganz beschwingt. Er würde sie fragen, und das war alles, was zählte. Was konnte die Hölle ihnen jetzt noch anhaben? Maurice Micklewhite, das wusste sie, hatte Neil Trent gemocht. Er hätte seinen Segen gegeben, wenn sie seine Frage mit Ja beantwortet hätte. Doch ihr Vater war tot. Wie auch ihre Mutter. Wie Neils Eltern es auch waren. Familie hatten sie beide nie gekannt, doch hatten sie einander gefunden. Das war die Zukunft, für die zu kämpfen sich lohnte.
    »Glaubst du, dass die anderen in Prag angekommen sind?«
    »Die Fegefeuer sind zuverlässig«, antwortete Aurora.
    Sixpence vergewisserte sich, dass sie ihm noch folgten, ging dann aber schweigend weiter.
    »Könnte London einmal so aussehen wie dieser Ort hier?«
    »Wenn die Nebel und die Dürre siegen, vielleicht.« Niemand konnte ihnen sagen, was sich in der Stadt der Schornsteine zugetragen hatte. Sie wussten ja nicht einmal, wie viel Zeit seit ihrem Aufbruch, seit ihrer Flucht vergangen war. Mit der Zeit, das wussten beide, war es so eine Sache in den Tiefen jenseits der uralten Metropole.
    Es war Sixpence, der Mann, der als Junge

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