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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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musste sie an die Region unterhalb von St. Paul’s denken. Daran, wie sie Dorian Steerforth zum ersten Mal über den Weg gelaufen war. Wie sie sich in ihn verliebt hatte, dumm wie sie gewesen war. Wie er Eifersucht zwischen Aurora und ihr gesät und dann geerntet hatte, was daraus gewachsen war.
    »Die Alraun-Asseln werden Sie töten.«
    »Das Leben, das ich führe, ist schon lange kein richtiges Leben mehr.«
    »Aber …«
    »Nein!«, fuhr er ihr ins Wort. »Sagt man nicht, dass jeder Mensch in seinem Leben eine Aufgabe zu erfüllen hat? Dass es einen Sinn gibt, weshalb jemand lebt?« Er gab Emily einen Stoß, sodass sie förmlich in den Tunnel hineintaumelte. »Das ist es, was ich tun will. Was mich erlösen wird. Wenn es denn eine Erlösung geben sollte. Laufen Sie, Emily Laing, damit ich es nicht umsonst getan habe. Tun Sie es!«
    Er klang beinahe glücklich, dass er die Entscheidung getroffen hatte.
    Und während Emily sich wieder einmal fragte, wo die Grenze lag zwischen dem, was böse war, und dem, was Böses tat, ergriff Tristan Marlowe ihre Hand und zog sie hinter sich her.
    Er redete auf sie ein und trat nach den Alraun-Asseln, die dem Mädchen und ihm selbst zu nahe kamen.
    Wie Ameisen stürzten die Asseln sich nun auf die Schatten, die wir an der Decke, den Wänden und auf dem Boden warfen, und ihre Kauwerkzeuge zerrissen die Ränder der Schatten wie stumpfe Scheren.
    Dann begannen die Schreie.
    Kurz und abgehackt.
    Emily tat, was sie nie hatte tun wollen.
    Sie schaute zurück.
    Sah, wie sich der Aphrodit im fahlen Licht der Laterne langsam auflöste. Die Alraun-Asseln wuselten in den Schatten des einst so hübschen jungen Mannes, und je mehr sie von seinem Schatten vertilgten, desto lauter wurden die Schreie in der Nacht.
    Tristan Marlowe zischte zähneknirschend: »Lassen Sie uns von hier verschwinden.«
    Und während die schmerzerfüllten Schreie des sterbenden Aphroditen zu Schatten wurden, die von gierigen Mündern aufgefressen wurden, liefen wir dem Schloss entgegen. Jenem geheimnisvollen Ort, an welchem das kalte Herz der Moldau-Metropole schlagen mochte. Jenes Herz, das gierig war wie die Welt und die Menschen verschlang, weil es auch das Herz des Engels Gabriels war. Ein Herz, das lange schon zu schlagen aufgehört und einen Himmel geschaffen hatte, welcher der Hölle ebenbürtig sein mochte.
    Neil schaute die Straße hinab und war ganz bleich geworden.
    »Sie kommen!«
    Die Entscheidung, wie vorzugehen war, wurde ihnen sozusagen aus der Hand genommen.
    Sixpence, das war ihnen inzwischen klar geworden, hatte sie an den Engel verraten.
    Doch warum erst jetzt?, fragte sich Aurora. Warum rettete er sie zuerst vor den Limbuskindern und übergab sie dann dem Mala’ak ha-Mawet? Ergab das einen Sinn? Nie und nimmer.
    »Ihr müsst laufen«, bedrängte Sixpence die beiden.
    »Einen Teufel werden wir tun«, schrie Neil ihn an und stieß ihn zur Seite.
    »Ich konnte nichts anderes tun«, winselte Sixpence und kniete mit gesenktem Haupt vor ihnen im roten Sand. »Wäre ich es nicht gewesen, dann hätte es jemand anders getan.«
    »Das ist keine Entschuldigung.«
    Auf den Baumgerippen hatten sich Taubenwesen niedergelassen, und immer neue kamen hinzu.
    Der Mala’ak ha-Mawet hatte sie herbeigerufen.
    Sie bedeckten den Himmel, und es sah so aus, als nähere sich dort oben ein Heuschreckenschwarm, so viele waren es. Knurren aus vielen Kehlen erfüllte die Luft.
    »Ihr müsst mir glauben, wenn ihr leben wollt.«
    »Du hast deine Chance verspielt.«
    »Nennt mir meinen Namen.«
    Aurora starrte ihn an.
    Sie konnte nicht glauben, wie dreist dieser Wicht um Erbarmen bettelte.
    »Gar nichts werden wir für Sie tun.«
    Und Neil fügte hinzu: »Fragen Sie Ihren Freund, den Engel!«
    Sixpence schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ihr versteht gar nichts.« Er kam kniend auf Neil zugekrochen und zupfte ihn am Hosenbein. »Bitte, glaubt mir, ich kann euch helfen.«
    Der Mala’ak ha-Mawet stand noch immer an seinem Platz und lächelte. Zur Kathedrale schaute er, deren Pforten weit geöffnet waren.
    »Lass uns bloß von hier abhauen!« Aurora fasste Neil an der Schulter. »Sie kommen!«
    Die Taubenwesen näherten sich ihnen zusehends von allen Seiten.
    Das genügte, um Neil aus seiner Nachdenklichkeit zu reißen.
    Er gab Sixpence einen Stoß, sodass er in den roten Sand fiel. Staub wirbelte auf.
    Der Mala’ak ha-Mawet grinste genüsslich.
    Aurora Fitzrovia und Neil Trent rannten los.
    Vielleicht, so dachten beide

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