Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Felsen bedeckte, waren überall. Dahinter die undeutliche Silhouette eines großen Hauses, das sie kannte, in dem sie einst gelebt hatte, für kurze Zeit. Sie wollte schreien, doch legten sich die Nebel über jedes Geräusch, das sie hervorzubringen versuchte. Ihr war, als lachten die Nebel sie aus, hämisch und voller Tücke.
    Emily spürte Tränen.
    Und registrierte verwirrt, dass es ihre eigenen Tränen waren, die sie da weinte.
    Denn das nächste Bild war ihr Ebenbild.
    Emily Laing.
    Die auf dem Hocker vor der Zellentür saß und durch die Glasscheibe ihre Mutter betrachtete. Sehr detailliert erschien ihr das Gesicht, das ihr eigenes war, und ein warmer Glanz umspielte seine Züge. Das Mondsteinauge schimmerte, und Emily fragte sich, welches Licht sich in ihm brach. Nein, das musste eine Sinnestäuschung sein. Die Zelle ihrer Mutter war immer nur spärlich beleuchtet gewesen.
    Gesang, der ein Summen war, begleitete dieses Bildnis.
    Jene Melodie, die so unbeschwert klang.
    An die sich Mia Manderley erinnert hatte.
    Die sie mit Emily verband.
    Ja, das tat sie.
    Und Emily, die bitterlich zu weinen begann, verstand, was sie sah.
    Es war das, was ihre Mutter im Todeskampf gesehen hatte. Woran sie sich zu erinnern vermocht hatte.
    Sie hat mich erkannt, dachte Emily benommen.
    Sie hat gewusst, wer ich bin.
    All die Besuche in Moorgate.
    Ja, Mia Manderley hatte sie als ihre Tochter erkannt.
    Irgendwie.
    Und die Schmerzen, die ihr das Bewusstsein zerrissen, als die Nebel ihr voller Hohn das Leben nahmen, wurden von jenem Bild begleitet, das warm und hell und melodisch war und die Qualen des letzten Augenblickes ein wenig zu lindern vermochte.
    Die Nebel lachten schallend.
    »Miss Laing!«
    Ich hatte Emily aufgefangen, als sie zu Boden gesunken war.
    »Es ist vorbei.«
    Meine Schutzbefohlene schlug die Augen auf.
    »Wir sind in Moorgate.«
    Tränen rannen dem Mädchen über das bleiche Gesicht.
    »Was haben Sie gesehen?«, wollte Dr. Dariusz wissen.
    Mit einem entnervten Blick gebot ich dem Arzt zu schweigen.
    »Wie geht es Ihnen?«
    Das Mädchen schluchzte nur.
    »Es ist vorbei.« Ich betonte jedes Wort. »Es ist vorbei.«
    Emily Laing, die sich an meinem Mantel festklammerte, als hinge ihr Leben davon ab, zitterte am ganzen Leib. »Sie ist tot«, flüsterte sie, als träfe sie diese Erkenntnis erst jetzt. »Mia Manderley ist tot.« Emily weinte. »Meine Mutter hat Blackheath gesehen«, schluchzte sie. Sie wandte den Blick ab von dem Leichnam ihrer Mutter, und die Worte, die sie zu sagen versuchte, verwandelten sich in ein Meer aus bitteren Tränen. Und während ich das Mädchen, das fast schon wie eine Tochter für mich war, in den Armen hielt, wurden die Befürchtungen, die schon lange in meinem Herzen gediehen, zu schweren Wolken, die langsam, aber sicher, den Himmel über London verdunkelten.

Kapitel 3
Hampstead Manor
    In dem verwinkelten Haus in Marylebone weilen zu dürfen, erfüllte Aurora Fitzrovia mit höchst widersprüchlichen Gefühlen. Das große Haus mit der grauen Fassade und dem windschiefen spitzen Dach, das seit Jahren der Familie Hampstead gehörte, war Emily Laings Zuhause geworden. Hier hatten die beiden Mädchen unzählige Stunden verbracht und über das geredet, was ihre jungen Herzen bedrückte. Die letzten Gespräche, an die Aurora sich erinnerte, waren allerdings von Missgunst und Zwietracht begleitet gewesen. Nichtsdestotrotz war sie froh, wieder hier zu sein. Allein schon der schwere Geruch des alten Holzes im Treppenhaus und die dicken Staubschichten auf den vielen Bildern riefen so viele Erinnerungen in ihr wach, dass sie sich unwillkürlich zu fragen begann, wie es so weit hatte kommen können. Unzertrennliche Freundinnen waren sie einst gewesen, verschwiegene Verschwörerinnen im düsteren Waisenhaus von Rotherhithe, und niemals hätten sie gedacht, dass irgendetwas sie jemals derart würde entzweien können.
    »Du bist glücklich.« Für Aurora war dies eine Feststellung gewesen.
    Emily hatte es als Anschuldigung verstanden.
    »Das ist nicht fair.«
    »Du hast Adam Stewart«, hatte Aurora es auf den Punkt gebracht, »und ich habe niemanden.«
    Sie hatte es in Worte gefasst.
    Boshaft und voller Neid.
    Das war es, was sie beide voneinander unterschied.
    Doch niemals hätte sie es Emily zum Vorwurf machen dürfen.
    Allein daran zu denken ließ sie vor Scham erröten.
    Die Tatsachen jedoch ließen sich nicht leugnen.
    Ja, sie war neidisch gewesen.
    Darauf, dass Emily ihr neues Leben lebte, und

Weitere Kostenlose Bücher