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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Schnee bringen.
    Jetzt kam er sich vor, als ginge er nahe der Themse spazieren. Kaum eine halbe Stunde hatte er gebraucht, um zum Gare du Nord zu gehen und sich den Fahrschein zu besorgen. War es möglich, dass in dieser kurzen Zeit ein derartig dichter Nebel aufzog? Ein Nebel, der nur die Gassen und Straßen um das Hotel Absinth zu verschleiern schien?
    Es gibt keine Zufälle, hörte er Emily sagen.
    Dann hörte er die Schreie.
    Etwas musste in dem Nebel verborgen sein. Die Gerüchte aus London kamen ihm in den Sinn, und er verlangsamte seine Schritte.
    Etwas ging hier vor. Der Nebel, der vor ihm lag, schien förmlich in das Hotel Absinth hineinzufließen. Es sah aus der Ferne so aus, als waberten die Nebel hinter den schmutzigen Fensterscheiben. Hin und wieder schlug eine Hand von innen gegen das Glas und wurde dann von Nebel umschlossen und vom Fenster weggerissen.
    Adam hatte niemals zuvor etwas Derartiges gesehen.
    Es sah aus, als lebe der Nebel.
    Schatten rannten aufgeregt hinter den Fenstern umher, und Schreie drangen aus dem Hotel nach draußen. Ein Fenster im zweiten Stockwerk zersplitterte, und ein Mann stürzte auf die Straße herab.
    Toulouse!
    Adam bemerkte, dass er jetzt rannte.
    Der Mann, der Toulouse aus dem Fenster geworfen hatte, war ein Clown, der sich schon für die Nachmittagsvorstellung im Moulin Rouge geschminkt hatte. Er war ein Bretone, ein netter Kerl, der Zigarren rauchte und Alkohol verabscheute. Sein Clownsgesicht war eine Fratze, entstellt und voller Wut. Er schrie laut in den Tag hinein, und während er schrie, da floss der Nebel ihm aus dem Mund und kehrte ins Haus zurück.
    Was passierte dort nur? Adam war ratlos. All die Menschen, die er kannte. Mit denen er seit vier Jahren zu tun hatte, wenn er in Paris weilte. Künstler, Musiker und Straßenartisten. Liebenswürdige und schrullige Menschen, die Kinder der Revolution. Sie brachten einander gegenseitig um. Und ein Gefühl sagte ihm, dass es etwas mit ihm selbst zu tun hatte, dass die Menschen jetzt starben.
    Warum er das dachte? Er hatte keine Ahnung. Es war eine Gewissheit, die einfach da war. Die ihn rennen ließ, bis ihm der Atem in der Kehle brannte. Es blieb ihm keine Zeit, um zu überlegen.
    Er kniete neben Toulouse, dessen Körper zerschmettert auf dem nassen Kopfsteinpflaster lag. Nebel schwammen dem Maler in den Augen, und als Adam leise zu ihm sprach, da flossen ihm die Nebel aus den Nasenlöchern und griffen nach Adams Händen, die durch das Haar des kleinen Mannes strichen. Es war wie ein Stich, den er auf der Hand spürte. Eisig kalt und doch lebendig, wie der Biss eines Insekts.
    Ein Flüstern waberte ihm in den Kopf.
    Er sah, wie der Nebel, der noch eben in Toulouse gewesen war, aus dessen Augen verschwand, und ihm selbst den Arm hinaufkroch.
    Erschrocken sprang er auf und versuchte den Nebel, der wie eine eisig kalte Flüssigkeit seinen Arm hinaufstieg, abzustreifen.
    Ohne Erfolg.
    Die Nebel sind meinetwegen nach Paris gekommen.
    Das war es, was Adam in diesem Moment dachte.
    Unzusammenhängend.
    Panisch.
    Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
    »Bleiben Sie ruhig!«, befahl ihm eine raue Stimme, die er kannte.
    Ein helles Leuchten schoss an seinem Kopf vorbei und stürzte sich auf den Nebel, der nun seinem Gesicht schon ganz nah war. Das grelle Licht begann zu glühen, und Adam spürte eine unangenehme Hitze an seinem Arm. Die Luft vor seinen Augen begann zu flimmern. Langsam, ganz langsam, begann sich der Nebel aufzulösen. Zuerst zerfiel er in kleine Fetzen eines wabernden Weiß, und dann war er verschwunden.
    »Am Ende«, sagte die Stimme, »sind auch lebendige Nebel nichts anderes als Wasser mit einem Willen.«
    Adam öffnete die Augen.
    Das Irrlicht dimmte sich und setzte sich auf seine Schulter.
    Das hagere Gesicht des Mannes hatte Adam schon einmal gesehen. In den Katakomben der ténébreuse.
    »Mièville?« Den Tunnelstreicher hatte er zum letzten Mal gesehen, als er mit Emily auf den Friedhof mit den Blumen des Bösen gestoßen war. Ein Abgrund hatte sich damals in der ténébreuse aufgetan, inmitten jenes seltsamen Friedhofs, in dessen dunkler Erde Unschuldige begraben worden waren. Auf selbstlose Art und Weise hatte der Tunnelstreicher sie vor den Rattlingen zu schützen versucht. Mièville war damals dort geblieben. Als der Abgrund sich geschlossen hatte. Und war seither nie wieder gesehen worden. Dinsdale, sein treuer Begleiter, war später nach Paris zurückgekehrt, um nach dem Tunnelstreicher zu

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