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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Schaute nach draußen. Die Welt war unscharf und schnell.
    Dunkel.
    Durchsetzt mit winzigen Lichtern.
    Signalleuchten.
    »Nein, Miss Laing. Die Zeit heilt gar nichts.«
    »Auch nicht ein wenig?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie sind noch jung, Emily. Es wird noch viel geschehen in Ihrem Leben.«
    Der Zug bremste ab. Rollte aus.
    »Edgware Road«, sagte ich unverbindlich.
    Wir verließen die U-Bahn und legten das letzte Stück des Weges in dichtem Schneetreiben zurück. London war noch immer in einem eisigen Wintermärchen gefangen, und die frische Luft tat den Lungen gut, so gut. Nebel waren keine zu sehen, und es schien ruhig zu sein, zumindest in Marylebone. Am Himmel trieben hier und da die zerfetzten Überreste von Rauchwolken, und unten am Fluss nahe Chelsea schien ein Feuer zu wüten, das den Himmel rot färbte.
    Emily, die ihren langen Schal bis über den Mund zog, sodass nur noch die Augen hervorlugten, trottete schweigsam neben mir her. Grimmig wirkte sie. Und traurig. Verlassen, einsam. Und erst als in der Ferne die hell erleuchteten Fenster unseres Zuhauses auftauchten, da zauberte ihr irgendetwas ein Lächeln in die Augen.
    Überrascht sah ich sie an. »Was haben Sie?«
    »Nichts.«
    Sie zog sich den Schal vom Mund und atmete die Nachtluft ein.
    Musste lächeln.
    Schon wieder.
    »Was ist passiert?«
    »Da war ein wunderbarer Gedanke.«
    Dieses Kind!
    »Und?«
    »Ach, fragen Sie mich nicht.« Sie beschleunigte ihre Schritte und rannte auf das Haus zu. Immerhin so schnell, dass ich mir Mühe geben musste, ihr zu folgen. Sie sprang förmlich die Treppenstufen hinauf und bremste erst auf der obersten Stufe ab, als Peggotty die Tür öffnete.
    »Sie sind beide wieder da«, begrüßte uns die Gute erleichtert, und das warme Licht aus dem Korridor hinter ihr ließ Schatten auf dem festen Schnee tanzen. »Master Wittgenstein!«, rief sie mir entgegen und betrachtete erleichtert meine Schutzbefohlene. »Miss Laing.« Tränen glitzerten ihr in den Äuglein.
    Dann trat sie zur Seite.
    Und mit einem Mal stand Emily wie angewurzelt da, als habe sie gerade der Blitzschlag getroffen.
    Starrte den Jungen an, der neben Peggotty im Türrahmen stand.
    »Hallo, Emily.«
    Sie schnappte nach Luft.
    Da stand er nun!
    Einfach so!
    Als sei er niemals fort gewesen!
    Die dunklen Augen wirkten nervös. Er trug Bluejeans und einen hässlichen grauen Pullover, der einige Löcher aufwies. Die Haare standen ihm in keiner erkennbaren Ordnung vom Kopf ab. Ganz zerwuschelt sah er aus, wie eigentlich immer.
    Ein wenig unrasiert.
    Das Mädchen starrte den Jungen an wie einen Geist.
    Und als sie etwas sagen wollte, da fiel er ihr schnell ins Wort. »Du … ich … es …« Er schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Hör mir bitte zu, ja? Lauf nicht weg! Paris war … seltsam. Ich meine, es war wunderbar. Nein, nein, das war es eigentlich nicht. Es hätte wunderbar sein können, wenn du bei mir gewesen wärst.« Er musste grinsen. »Nein, du hättest es nicht gemocht, glaube ich.« Er wirkte verlegen. »Das Theater war toll. Aber es war einfach niemand da, der sich mit mir gefreut hätte. Nun ja, Toulouse war da.« Er schaute sie an. »Aber du nicht und …«
    Emily starrte nur zurück.
    Dachte: Er redet noch immer sehr viel.
    »Du hast mir gefehlt, Emmy. Jede Sekunde. Es war ein Fehler, allein dorthin zu gehen. Ich musste an Piccadilly denken und … ach, was rede ich denn da.« Er klatschte unbeholfen in die Hände. »Ich bin wieder da und … du auch.« Er rührte sich nicht vom Fleck. »Ich habe Mièville getroffen. Und Dinsdale. Nebel haben mich vor meinem Hotel angegriffen. Und dann bin ich nach London zurückgekehrt und habe festgestellt, dass du schon fort bist. Ich bin in Moorgate gewesen, weil ich dir folgen wollte.«
    Ich stand neben meiner Schutzbefohlenen.
    Beobachtete ihre Reaktion.
    Peggotty übrigens auch.
    Doch das Mädchen beachtete keinen von uns.
    Sah nur den jungen Mann.
    Dessen Hände nicht so recht wussten, was sie tun sollten.
    »Ich … will nicht ohne dich leben, Emmy. Das habe ich eigentlich schon in Paris gewusst, vor zwei Jahren. In Brick Lane Market. Du hast mir gefehlt. Meine Güte, was bin ich für ein Idiot gewesen. Aber … ich …« Er seufzte. »Emily Laing, du bist mein Song, mein Tag, meine Nacht. Du bist mein Leben, und ich …« Er sah ihr in die Augen. Schwieg einen Moment.
    Sagte: »Es tut mir Leid.«
    Ganz langsam ging Emily auf ihn zu.
    »Du …«
    Sie legte ihm den Finger auf

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