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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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glücklich war. Der gute Henri! Dass seine Gedanken ganz woanders lebten als er selbst und dass, wie hätte es anders sein können, ein Mädchen schuld daran war. Es seien immer die Frauen, wurde Toulouse nimmer müde zu betonen, die einen Mann ins Verderben stürzen und verzweifeln lassen.
    Was keine Hilfe war für Adam.
    Denn das, was ihm fehlte, befand sich in London.
    Und in der Nacht, als er den Entschluss fasste, dorthin zurückzukehren, da war es nicht nur der Traum, der ihn dazu bewog, diesen Entschluss so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Nein, es waren die Schatten an der Decke und an den Wänden. Die Schatten, in denen er Emilys Gesicht erkannte. Im Traum war die Stadt der Schornsteine von Nebelwesen heimgesucht worden. Adam wusste, woher diese Träume kamen. Er hatte die zerfledderten Ausgaben der englischen Tageszeitungen gelesen. Von seltsamen Dingen war da die Rede gewesen, und der Gedanke, dass sich Emily allein in der Stadt der Schornsteine herumtrieb, war nicht länger zu ertragen gewesen für ihn.
    Und so hatte sich Adam Stewart am Morgen des nächsten Tages gleich nach dem Frühstück aufgemacht, um sich einen Fahrschein zu besorgen.
    Paris – London.
    Einfache Fahrt.
    Mit dem schmalen Fahrschein aus dünner gelber Pappe in der Jackentasche wanderte er dann nach Montmartre zurück. Mit den Theaterleuten würde er noch reden müssen. Das war etwas, wovor er sich am liebsten gedrückt hätte. Wusste er doch, dass sie nicht begeistert reagieren würden.
    Und dennoch … er fühlte sich gut dabei.
    Gut, weil er schon morgen um die gleiche Stunde in London sein würde. Mit ein wenig Glück sogar in Marylebone oder im alten Raritätenladen, wo sich ihrer beider Wege getrennt hatten.
    Gut, weil er wusste, dass er das Richtige tat.
    Die Wut darüber, dass Emily ihn nicht hatte begleiten wollen, war bereits bei seiner Ankunft in Paris verschwunden gewesen. Nur ungern dachte er an ihrer beider Gespräch im Raritätenladen zurück.
    Nein, er würde Emily nicht noch einmal allein lassen.
    Es war eine Entscheidung, die zu treffen ihm nicht einmal schwer gefallen war.
    Es war das, was er hatte tun wollen.
    Tangled up in blue.
    Das war der Song, der ihm die ganze Nacht über im Kopf herumgeschwirrt war.
    The Times they are a-changin’.
    Das war der andere Song.
    Adam Stewart, der beide Lieder unzählige Male in den Straßen Londons und Paris’ zum Besten gegeben hatte, mit Gitarre und Mundharmonika, verstand die Botschaft, die sich zwischen den Zeilen verbarg, erst richtig, als er das, wovon Bob Dylan gesungen hatte, selbst fühlte. Alles, das wusste er, würde sich ändern. Die Zeiten würden niemals so bleiben, wie sie waren. Doch eines war ihm klar geworden: Wenn man sein Glück gefunden hatte, dann durfte man es nicht wieder loslassen. Man musste schwimmen, wenn die Fluten anstiegen. Und ohne Emily, das verstand Adam, würde er wie ein Stein zu Boden sinken, wenn die Fluten das nächste Mal ansteigen würden. Er verstand es und konnte nicht einmal verstehen, wieso er es vorher hatte anders verstehen können.
    Die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht und einige Male nach dem Telefon gegriffen, um Emily in Marylebone anzurufen. Wieder und wieder hatte er den Hörer auf die Gabel gelegt, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Die richtigen Worte zu finden gelang ihm in Liedern, aber selten im richtigen Leben. Und als er dann nach einigen Stunden ergebnislosen Haderns mit sich selbst den Hörer ans Ohr gepresst hielt und zum ersten Mal nicht auflegte, da brach die Verbindung ab, bevor sie zustande gekommen war.
    »Es gibt keine Telefonverbindungen mehr nach London«, erklärte ihm Henri am nächsten Morgen.
    Das war etwas, was Adam Stewart über alle Maßen beunruhigte. Was ihn darin bestärkte, den Fahrschein so schnell wie möglich zu kaufen. Emily Laing, das spürte er, war in Schwierigkeiten. Er kannte sie jetzt gut genug, um zu wissen, dass, wenn sie ein ganz bestimmtes Talent hatte, es das Talent war, sich in Schwierigkeiten zu bringen.
    Und als er vom Gare du Nord nach Montmartre zurückkehrte, da sah er, dass die Schwierigkeiten auch nach Paris gekommen waren.
    Ein seltsamer Nebel hatte sich über den Stadtteil gelegt und erinnerte Adam an das, was er über London gelesen hatte. Als der junge Mann das Hotel verlassen hatte, da war er in einen klirrend kalten Wintertag hinausgetreten. Der Himmel war eisig blau gewesen, die wenigen Wolken waren träge dahingezogen und würden bald

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