Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
Götter ihre eigenen Pläne verfolgten. Und der Plan des Lordkanzlers schien ihr urplötzlich so offensichtlich zu sein, dass ihr schwindelte. Anubis herrschte über Kensington. All die Jahre über war er mit dem Lichtlord im Bunde gewesen. Wenn die Mala’ak ha-Mawet die Kontrolle über London übernähmen, dann wäre dies bestimmt nicht in seinem Interesse. Was er wollte, war zutiefst menschlich. Er wollte seine Ruhe haben. Wollte in Kensington regieren. Die Handelsrouten kontrollieren. Unruhen und Krieg kamen ihm dabei ungelegen, das war alles. Im Grunde genommen, dachte Emily, ist alles immer ganz einfach.
Sie betrachtete den uralten Schakalgott in dem Nadelstreifenanzug. Die schwarzen Augen starrten sie ausdruckslos an. »Findet Mara Manderley«, sagte Anubis, »und wenn Lucifer, was ich nicht glaube, während seiner Suche auf die Urieliten stoßen sollte, dann gibt es vielleicht doch noch Hoffnung für die Stadt der Schornsteine.«
»Und wenn unsere Bemühungen scheitern?«
»Dann werde ich, was ich ungern täte, mich mit Gabriel arrangieren.« Jetzt war es ausgesprochen.
War es wirklich so einfach?
Emily schaute Adam an. Ihre Blicke begegneten sich. Auch Tristan Marlowe bemerkte den Blick und gab sich alle Mühe, ihn zu ignorieren. Mr. Fox und Mr. Wolf schwiegen. Und Ipy die Sphinx träumte wohl von den Oasen und hellen Wüsten nahe Karnak.
Keine fünf Minuten später brachen wir auf. Anubis war nach Kensington zurückgekehrt. Er hatte gesagt, was zu sagen gewesen war. Das war alles. Und während Tristan Marlowe mit Ipy der Sphinx im Labyrinth der Nationalbibliothek nach kümmerlichen Hinweisen zu suchen begann, stiegen wir in die uralte Metropole hinab, um die Hoffnung zu finden, die wir alle seit Stunden schon verloren hatten.
»Was glaubst du, Ipy?«
Die kleine Sphinx hockte auf einem alten Sekretär in Tristan Marlowes Büro. Sie verzog leicht das Gesicht. »Was meinen Sie?«
»Miss Laing. Glaubst du, dass sie diesen Stewart wirklich liebt?«
Ipy faltete die Flügel und putzte sich die Pfoten. »Vielleicht.«
Tristan Marlowe entrollte mürrisch eine Schriftrolle, die er sich aus dem Archiv mitgenommen hatte. »Vermutlich«, grummelte er. Den Aufenthaltsort der Engel sollte er also herausfinden. Nichts leichter als das, dachte er wütend. Für diese Art von Arbeit war er gut genug.
Dann verflog sein Zorn. Im Grunde war er bloß enttäuscht, das war alles.
»Sie sehen gar nicht glücklich aus«, bemerkte Ipy.
»Du siehst viel.«
»Möchten Sie darüber reden?«
Entschieden antwortete er: »Nein!«
Dann nahm er an seinem Schreibtisch Platz und machte sich daran, in den alten Schriften nach Hinweisen zu suchen. Vielleicht hatte sich ja bereits früher schon einmal ein Himmel in London befunden. Er seufzte erneut, nippte an seinem Tee. Ja, dies hier war seine Welt. Die Welt der Bücher und alten, staubigen Schriftrollen. Hier konnte er versteckt vor der Welt arbeiten und musste niemanden an sich heranlassen.
Was hatte er Emily Laing geraten?
Vertrauen Sie niemandem.
Denn wenn Sie jemandem vertrauen, dann sind Sie verletzbar.
Das war die traurige Wahrheit seines Lebens.
Seine Eltern. McDiarmid. Wittgenstein. Emily. Ja, selbst sie misstraute ihm.
Am Ende fühlte er sich einfach nur allein.
Draußen, vor dem Fenster, fielen erneut dichte Schneeflocken auf London herab. An den Besuch von vergangener Nacht wollte er schon gar nicht mehr denken. Verlockende Angebote hatten meist einen Nachteil. So war es doch immer schon gewesen.
»Ach, Emily.« Es war nur ein Flüstern.
Ipy, die Sphinx, hob den Kopf. Sphinxe, das wusste Tristan, haben gute Ohren.
Er sah das Tier an.
Lächelte verhalten.
Immerhin war die Sphinx bei ihm geblieben.
Dann begann er mit der Arbeit. So akribisch, wie es nun einmal seine Art war.
Wir betraten die U-Bahn am Russell Square und nahmen die Piccadilly Line bis hinauf nach King’s Cross, verließen den überfüllten Zug und begaben uns schnellen Schrittes zur Hammersmith & City Line, die uns nach Aldgate East brachte. Whitechapel war unser eigentliches Ziel gewesen, doch stoppte der Zug im Bahnhof von Aldgate East, weil es, wie uns die Lautsprecher mitteilten, im weiteren Streckenabschnitt zu Zwischenfällen gekommen sei.
»Sie könnten es uns jetzt endlich verraten.«
Oh, dieses Kind!
»Was meinen Sie?«
»Wohin gehen wir?«
»Zum nächsten Bahnsteig, würde ich sagen.«
Mr. Fox schaltete sich ein. »Das ist nicht komisch, Wittgenstein.«
Mr. Wolf, der
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