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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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hinuntergegangen waren, da war Emily mit einem Mal ganz still geworden. Zu viele unangenehme Erinnerungen verband sie mit dem Lordkanzler von Kensington.
    Und als er dann endlich erschien, da kam es ihr so vor, als sei kein Tag seit unserem letzten Zusammentreffen vergangen.
    »Seien Sie gegrüßt«, dröhnte die mächtige Stimme, die ein wenig an das Knurren eines großen Schakals erinnerte.
    Vor der Skulptur war das Ebenbild des Totengottes erschienen, gekleidet in einen eleganten, dunklen Nadelstreifenanzug. Der Kopf mit der langgezogenen Schnauze und den hochstehenden spitzen Ohren drehte sich wachsam und neugierig in alle Richtungen. »Es ist lange her, dass ich zum letzten Mal hier war.« Die geschminkten geschlitzten Schakalaugen funkelten in die Runde der Anwesenden.
    »Lordkanzler«, empfing ich ihn mit einer angedeuteten Verbeugung.
    »Ich bringe schlechte Neuigkeiten.« Die kehlige Stimme des Gottes klang heiser und rau.
    Alle warteten gespannt darauf, was er zu sagen hatte.
    »Lucifer ist im Himmel der Urieliten am Oxford Circus gewesen. Aber er hat dort keine Engel mehr vorgefunden. Etwas hat den Himmel verwüstet, und die Urieliten sind verschwunden.«
    »Das«, murmelte ich, »sind wahrlich schlechte Nachrichten.«
    »Ich weiß. Lucifer und Lady Lilith sind nach Kensington gekommen, weil sie sterblich sind.« Er verdrehte die Augen. »Götter und Engel sollten niemals lieben. Das geht nicht gut aus. Ist es noch nie.« Er legte die spitzen Ohren an und leckte sich über die Schnauze. »Beim letzten Mal, als ich Euch besucht habe, da habt Ihr mir Tee angeboten.«
    Hatte ich es geahnt!
    Man traf sich mit keinem Gott auf ein Gespräch und bot ihm dann nicht einmal Gebäck und Tee an. Das war nicht anständig. War es schon damals nicht gewesen, als Maurice Micklewhite sich um das leibliche Wohl des Totengottes gekümmert hatte.
    »Entschuldigt«, sagte ich, »aber diese Neuigkeiten sind … schlimmer, als wir angenommen haben.«
    »Trotzdem«, meinte Anubis. »Ein guter Tee lässt über einiges hinwegsehen. Auch über schlechte Nachrichten.«
    Wie damals, so begaben wir uns auch jetzt in die Cafeteria im Erdgeschoss des Museums, die menschenleer und verwaist war an diesem Nachmittag, keine zwei Tage vor Weihnachten.
    An den Wänden hingen Photographien der Carter-Expedition, die in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts das Grab des legendären Königs Tut-ankh-Amen entdeckt hatte. Einige der Photographien zeigten bekannte Gesichter. Alte Freunde, längst entschwunden. Eliza Holland, die noch jung und unschuldig gewesen war. Daneben ihr Bruder Tom, der die Stadt der Schornsteine vor einem Jahr verlassen hatte, um sein Glück woanders zu suchen. Der gute Maurice Micklewhite und eine finster dreinblickende Gestalt im Kaftan, der Emily, ein wenig amüsiert, jetzt besondere Aufmerksamkeit zollte.
    Auch der Lordkanzler betrachtete die Bilder aus seiner Heimat, die er schon lange nicht mehr bereist hatte.
    »Vielleicht«, sagte er, und es klang wehmütig, »werde ich die weiten Wüsten bald wieder besuchen. Zu lange bin ich fort gewesen, und London ist, trotz allen Reichtums, eine kalte Stadt für jemanden wie mich.«
    Dann nahm er an einem der runden Tische Platz. Nachdem er einen Schluck gezuckerten Kräutertee genossen hatte, sagte der Lordkanzler: »Lucifer ist ratlos. Er ist seiner Macht beraubt, und Lord Uriel hat seine Schar fortgeführt. Keiner weiß, wo sich die Lichtengel nun aufhalten.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Ah, Miss Laing. Ihr seid erwachsen geworden, wie es aussieht. Und Eurer Familie ist großes Leid widerfahren, wie ich gehört habe. Nun ja, es geschehen schlimme Dinge in der Welt.« Er schnaubte. »Gut und Böse, wie sehr dies alles doch verschwimmt im Meer der Zeit. Damals, als Ihr mich gerufen habt, da war der Lichtlord noch Euer Feind gewesen. Und dann hat die Brut der Carathis die uralte Metroplole heimgesucht. Doch am Ende war es immer der Ophar Nyx, der seine Fühler nach dem Leid in London ausgestreckt hat.« Er nippte erneut an dem Tee. Schlürfte ihn, wie ein Schakal es tut. »Gut und Böse, Licht und Schatten. Sie sind eben immer nur die beiden Seiten ein und derselben Münze. Und wenn man die Münze in die Luft wirft und umdreht, dann sind die Schatten dort, wo vorher noch Licht war, und die Dunkelheit von einst erstrahlt in einer Helligkeit, die einen ganz schnell vergessen lässt, was vorher einmal dort war.«
    Emily dachte an das, was Lucifer und Lilith getan

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