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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Bilder stürmten mit einem Mal auf das Mädchen ein, und Emily war klar, weshalb sie hierher zurückgekehrt war.
    Sie schreckte auf.
    Etwas hatte in der nachtschwarzen Dunkelheit ein Geräusch hinterlassen.
    Womöglich hatte jemand den gleichen Weg wie sie selbst gewählt und die Tür tief unten im Keller geöffnet. Gefolgt von einem heimlichen Rascheln wie von Schuhen, die über die spinnwebenübersäten Treppenstufen huschten.
    War ihr womöglich doch jemand vom alten Raritätenladen aus gefolgt?
    Sie lauschte.
    Stand ganz still.
    Nichts!
    Sie befand sich im Schlafsaal der Neuzugänge. Das schmutzige Fensterglas war zersplittert, und die weiße Winternacht hatte sich wie ein Teppich über die vielen Kinderbettchen gelegt. Fahles Licht, das unten von der Straße in das Haus drang, brach sich in den Eiskristallen und den Schneesternen, die sich überall im Raum gebildet hatten. Ja, das Waisenhaus war wahrlich zu einem Eispalast erstarrt, und Emily musste an die Hölle denken, die eisig kalt und ebenso winterlich gewesen war, als sie zum ersten Mal in die Schlünde nahe der Kathedrale hinabgestiegen war.
    Emily berührte zaghaft eines der Kinderbettchen und versuchte sich daran zu erinnern, wie es damals gewesen war, als sie sich in diesen Raum gestohlen hatte, um die kleine Mara zu besuchen. Damals hätte sie nicht im Traum geahnt, dass sie eine Schwester hatte.
    Schnell vertrieb sie den Gedanken daran.
    Und wieder war da das Geräusch, ganz nah.
    Was, in aller Welt, konnte das nur sein?
    Sie suchte nach dem Bewusstsein der geheimnisvollen Person und spürte, dass jemand sein Innerstes vor ihr zu verbergen wusste. Wer immer ihr auch folgte, besaß also die Fähigkeit, sich einer zudringlichen Trickster zu erwehren, was nicht unbedingt ein beruhigender Gedanke war. Bedeutete er doch, dass es nicht ein einfacher Straßenstrolch war, der sie zum Opfer auserkoren hatte, sondern jemand – oder etwas – anderes.
    Emily konzentrierte sich erneut und schnappte ein wie von einem Blitzlicht erhelltes Bild auf, das sie bereits zuvor gesehen hatte. Ein zugefrorener See und fröhliche Kinder, die auf dem Eis spielten. Woher, fragte sie sich, kannte sie dieses Bild?
    Zeit, darüber nachzudenken, hatte sie jedenfalls nicht.
    Immer näher kamen die Schritte.
    Hatten bereits die letzte Treppenstufe verlassen.
    Emily ging zwischen den Kinderbettchen in die Hocke und hielt den Atem an.
    Ihr Verfolger näherte sich zielsicher dem Schlafsaal.
    Zweifelsohne.
    Im Türrahmen blieb er kurz stehen und inspizierte das Zwielicht.
    Emily spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug.
    Nahezu regungslos kauerte sie am schneebedeckten Boden.
    Was wurde hier gespielt?
    Wer, in aller Welt, trieb sich außer ihr noch zu so später Nachtstunde in einem leerstehenden alten Hafenmeisterhaus herum? Nun ja, Antworten fielen ihr einige ein, doch war keine davon auch nur annähernd beruhigend.
    Das plötzliche Geräusch ließ sie unwillkürlich zusammenzucken.
    So laut wie Steine, die in dunkle Fluten plumpsen.
    Jemand pochte an die bereits geöffnete Tür.
    Dann vernahm sie eine Stimme.
    »Klopf, klopf.«
    Emily traute ihren Ohren nicht.
    Hätte beinah das Gleichgewicht verloren.
    Überrascht und leicht echauffiert erhob sie sich.
    Sah mich an.
    »Wittgenstein!« Es klang wie ein Vorwurf.
    Ich betrat den Raum.
    Nickte meiner Schutzbefohlenen zu. »Guten Abend, Miss Laing.«
    Sie klopfte sich den Schnee vom Mantel. »Was tun Sie hier?«
    War das nicht offensichtlich?
    »Ich suche Sie.«
    »Jetzt haben Sie mich gefunden, würde ich sagen.«
    Ich sah mich um. »Dies ist nicht gerade der Ort, an dem man ein Mädchen Ihres Alters nach Einbruch der Dunkelheit vermuten würde.«
    »Herrje, Wittgenstein, wie haben Sie mich gefunden?«
    »Ich bin Ihren Spuren gefolgt.«
    »Sie haben mir einen gehörigen Schrecken eingejagt.«
    »Tut mir Leid.«
    Emily richtete sich auf und warf mir einen trotzig versöhnlichen Blick zu.
    »Schon okay.«
    Dieses Kind!
    »Vor wenigen Stunden«, teilte ich ihr mit, »wurde uns eine Botschaft aus Moorgate überbracht.« Es war nicht der behutsame Weg, doch manchmal musste man die Dinge einfach beim Namen nennen. Und bei der Erwähnung dieses Namens wurde meine Schutzbefohlene ganz unruhig.
    »Was ist passiert?« Emily Laing, die seit all den Jahren wusste, wer ihre Mutter war, ahnte, dass der Grund meines unerhofft plötzlichen Auftauchens kaum angenehmer Natur sein würde und dass sich nur Allerschlimmstes hinter den hohen Mauern

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