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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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von Moorgate Asylum zugetragen haben konnte.
    »Wir sollten augenblicklich aufbrechen«, schlug ich vor.
    Denn Eile war geboten, zweifelsohne.
    »Hat Ihnen Doktor Dariusz etwas Genaues mitgeteilt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Eine nahezu erfrorene TrafalgarTaube hat die Nachricht überbracht.« Ein Zettel nur, auf dem unser Erscheinen schnellstmöglich erbeten wurde.
    »Was, Wittgenstein, vermuten Sie?«
    »Fragen Sie besser nicht.«
    Das Leben, dachte ich, kann unvorhersehbar, durchtrieben und boshaft sein, sodass wir hilflos wie Schneeflocken durch die Lüfte gewirbelt werden und nur darauf hoffen können, an einen sicheren Ort zu gelangen. Die alte Stadt London war unsere Heimat und dennoch weit davon entfernt, ein sicherer Ort zu sein. Zu unstet war der brüchige Frieden zwischen den mächtigen Häusern der Stadt, zu tief die Abgründe, die sich in den entlegensten Winkeln der uralten Metropole auftaten.
    Emily, die sich schon sehr bald Alchemistin würde nennen dürfen, hatte das Leben in London demjenigen in der Welt jenseits der U-Bahn vorgezogen, weil sie nicht mehr länger den Gefahren ausgesetzt sein wollte, die dort unten in den Gewölben und Röhren und Korridoren lauerten. Nichtsdestotrotz hatte es ihr die Ausbildung abverlangt, dass sie sich zuweilen zu den Märkten und in die Grafschaften tief unterhalb der Stadt begab. Doch waren diese spärlichen Besuche immer nur von äußerst kurzer Dauer gewesen.
    »Ich möchte endlich ein normales Leben führen«, hatte sie mir damals mitgeteilt.
    Ein Leben mit Adam Stewart.
    Das war es gewesen, was sie sich vorgestellt hatte.
    Ein Leben in der Stadt der Schornsteine.
    Als Alchemistin.
    Buchhändlerin.
    Vielleicht sogar würde sie sich einmal daran versuchen, eine Geschichte zu schreiben.
    Immerhin war ihr Vater ein Künstler gewesen.
    Musiker, Komponist, Bohemien.
    Ach, eigentlich hatte sie selbst nicht so recht gewusst, was sie einmal tun wollte.
    Nur gewusst, was sie nicht tun wollte.
    So hatte sie mit meiner Unterstützung schon kurz nach ihrer Rückkehr aus Paris die Whitehall Schule für höhere Töchter und Söhne verlassen und sich am Mayfair College eingeschrieben. Adam Stewart war zu einem ständigen Gast in meinem Haus in Marylebone geworden, und die Gitarre, die er stets mit sich geführt hatte, war von einem Raum in den nächsten gewandert. Doch das, wusste Emily, war jetzt vorbei.
    Das Leben, das sie sich erhofft hatte, würde nicht stattfinden.
    Schlimmer noch, man hatte uns nach Moorgate Asylum gerufen.
    »Es hat mit den Nebeln zu tun, habe ich Recht?«
    Sie ließ nicht locker.
    »Es wäre möglich.«
    Die bösen Nebel waren wie eine Krankheit.
    »Was wissen Sie von den Nebeln?«
    »Das, was alle wissen. Oder zu wissen glauben.«
    »Also nichts.«
    »Sie sagen es.«
    Glaubte man den Berichten, die seit Wochen schon die Runde machten, dann tauchten die Nebel immer nur des Nachts auf. Unvorsichtige Passanten, die sich in ihnen verloren, fanden nicht wieder aus ihnen heraus. Und diejenigen, die man gefunden hatte, waren in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem sie niemand mehr zu erwecken vermocht hatte.
    »Wie man mir mitteilte, hat das North Healing für die Nebelopfer eine eigene Station eingerichtet.« Die wenigen Krankenhäuser der Stadt hatten schnell und beherzt reagiert, doch gab es nicht einen einzigen Arzt in ganz London, der ein Mittel gegen die von den Nebeln verursachte Schlafkrankheit gewusst hätte.
    »Sind es denn so viele Opfer?«
    »Ich weiß es nicht. Aber die Lage ist angespannt.«
    Begonnen hatte es vor kaum mehr als drei Wochen. Ein Dampfschiff, das Touristen vom Tower hinauf nach Westminster bringen sollte, war auf Höhe der Waterloo Bridge in eine Nebelbank geraten, die wohl aus dem Nichts aufgetaucht war. Wie man sich erzählte, hatte es mit einem Mal keinen Kontakt mehr zu dem Vergnügungsdampfer gegeben. Der Metropolitan war es gelungen, die Motoren des Dampfers zu stoppen, noch bevor dieser beim Victoria Embankment auf Grund hatte laufen können.
    Die wenigen Touristen, die in diesen Wintertagen zu einer Bootsfahrt bereit gewesen waren, und die fünf Mann starke Besatzung hatte man in einen tiefen Schlaf versunken vorgefunden.
    Emily flüsterte: »Etwas sei mit ihren Augen gewesen, habe ich gehört.«
    »Man hört vielerlei in diesen Tagen«, gab ich zu bedenken.
    Emily sah müde aus.
    So erwachsen wirkte sie. Das kleine Mädchen, dessen ich mich einst angenommen hatte, war zu einer jungen Frau herangewachsen, die das

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