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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Leben schon lange nicht mehr mit Kinderaugen sah.
    Und es waren nicht die Nebel, die sie fürchtete.
    »Sie denken«, hakte ich nach, »dass man uns nach Moorgate gerufen hat, weil etwas mit Ihrer Mutter nicht in Ordnung ist?«
    Ertappt senkte sie den Blick.
    Was sollte ich sagen?
    Wenn ein Waisenkind in Erfahrung bringt, wer seine Eltern sind, dann ist dies ein magischer Moment. Ja, Emily Laing wusste, wer ihre Mutter war. Was sie aber auch erfahren hatte, war der Grund, weshalb Mia Manderley dem Wahnsinn anheim gefallen war. Seit Jahren schon befand sie sich in der Obhut eines persischen Arztes, der gute Kontakte zu dem mächtigen elfischen Haus vom Regent’s Park unterhielt und zudem der Leiter des berüchtigten Sanatoriums von Moorgate war.
    »Was auch immer geschehen ist«, sagte ich, »wir werden es in Kürze erfahren.«
    Emily nickte nur.
    Schwieg.
    Sah aus, als habe sie sich gerade selbst verloren.
    Schnellen Schrittes folgte sie mir durch die röhrenartigen Gänge von Aldgate East.
    Mürrische Menschen strömten an uns vorbei, und wie so oft fragte sich Emily, was all die Leute wohl sagen würden, wenn sie von der Welt, die sich hinter den schmutzigen Kacheln befand, erführen. Unwissenheit, das wusste sie heute, konnte manchmal auch ein Segen sein.
    »Wie viele von denen«, fragte ich meine Begleiterin, »sind wohl glücklich?«
    Emily betrachtete die Menschen auf dem Bahnsteig.
    Auf einer Bank saß ein Mann in Anzug und feinem Mantel mit einem Laptop auf dem Schoß und tippte mit nur zwei Fingern müde auf der Tastatur herum. Daneben stand ein Paar, das sich keines Blickes würdigte. Ein dicker Mann, dem die Reste seines Mittagessens noch an der Jacke klebten, spuckte auf den Boden. Zwei Punks warfen Bierdosen auf die Bahngleise, und neben einer Werbeanzeige für irisches Bier lehnte ein blinder alter Mann mit einem fleckigen Comic in den Händen.
    »Fragen Sie besser nicht«, entgegnete das Mädchen, das im Augenblick wirklich nicht das geringste Interesse verspürte, sich mit seinem Mentor über Glück und Unglück zu unterhalten.
    Und so steuerten wir unbeirrt auf den Blinden zu, dem die wenigen Haare, die unter der pelzgefütterten Fliegermütze hervorlugten, fettig an der Stirn klebten.
    »Seien Sie gegrüßt«, sagte ich höflich.
    Emily, die wusste, wie so etwas ablief, hatte den Duftbaum bereits aus ihrem Mantel gekramt.
    Der Mann rollte das bereits zerknitterte Heft säuberlich zu einem Zylinder. »Ah, Kundschaft.« Er sprach es wie »Kunnschaff« aus und grinste und entblößte dabei graues, nahezu zahnloses Zahnfleisch. »Lange nich jesehen, Alchemist.«
    »Wir erbitten den Durchgang.«
    Emily reichte dem alten Mann den orangefarbenen Duftbaum. Ein Schnüffeln nur, und flink griff der Alte danach. »Dank’ dä Härr.« Er hustete rasselnd, wie es alle taten, die hier unten an den Portalen ihr Dasein fristeten. Dann tippte er mit dem Comic gegen die gläserne Werbetafel, die eine versteckte Tür war, hinter der sich ein Abstellraum für die nächtlichen Putzkolonnen befand.
    »Un’ sicher’n un’ fest’n Schritt un’ Tritt Ihn’ beid’n.«
    Das Portal schloss sich hinter uns.
    »Da sind wir also wieder«, murmelte Emily.
    Wir durchquerten den Abstellraum, und dahinter führte ein niedriger Gang abwärts zu einem verlassenen Bahnsteig, auf dem sich Holzkisten und Säcke türmten, aus denen vergilbte Briefe und Päckchen herauslugten. An den Wänden befanden sich hölzerne Regalreihen, und jedes der Fächer, die vor Briefpost nur so überquollen, war mit einer Nummer oder Ziffer gekennzeichnet.
    »Dies ist die alte Mail Rail«, erklärte ich meiner Begleiterin.
    Emily hatte davon gehört.
    Im Jahre 1855 hatte Rowland Hill, ein leitender Angestellter des Post Office den Plan verfolgt, die zentralen Verteilerstellen von St. Martin’s le Grand, Little Queen Street und Holborn unterirdisch zu verbinden, sodass Briefpost und Pakete schneller von einem Ende der Stadt zum anderen geschickt werden konnten. Hill verbündete sich mit den Ingenieuren Rammell und Clark, die eine pneumatische Bahn entwickelt hatten, und so wurden die Tunnel gegraben, die für eine Weile auch tatsächlich in Betrieb gewesen waren. Doch dann geriet die Mail Rail in Vergessenheit, und das, was von ihr übrig geblieben war, sahen wir in diesem Moment vor uns.
    »Das ist deprimierend«, murmelte Emily.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Dies alles hier.«
    Behutsam schoben wir uns durch die Berge alter Post. Abertausende von

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