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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Regung erkennen.
    »Was heißt das?«
    »Der Drache hat die Gabe, Lug und Trug zu schmecken, habt Ihr das vergessen?«
    »Es war also ein Test?«
    »Dachtet Ihr etwa, dass Madame Shan Euch einfach so zu mir vorlässt?«

    Ich starrte die Spitzen meiner Schuhe an. Dann hob ich den Blick. »Nun ja, eigentlich sind wir davon ausgegangen, dass es genau so ist.« Ich schenkte ihm ein offenes Lächeln. »Seit wann lebt Ihr hier drinnen?«
    »Oh, es steht mir jederzeit frei zu gehen. Dies ist kein Gefängnis. Es ist nur eine Wohnung.«
    »In einem Drachen?«
    »Es gibt Menschen, die hören die Carpenters. Was ist so schlimm daran?«
    Scarlet kraulte Buster am Hals.
    »Dieser Platz ist sicher. Der Drache ist ein göttliches Wesen. Niemand findet mich hier drinnen.« Er lehnte sich zurück. »Er ist mein Zufluchtsort. Madame Shan war so gütig, mich mit Zhang Kui bekannt zu machen. Er ist ein Labyrinth und wirklich schwer zu verstehen, doch wer sich in ihm verläuft und ehrlich ist, dem wird Einlass gewährt.«
    »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Scarlet.
    Buster hob den Kopf.
    Mièville nickte. »Geht nach Williamsburg. Berry Street, Ecke 9th Street. In den Laden, den ich Euch genannt habe. Dort werdet Ihr mehr erfahren.«
     
    Wir verließen Chinadowntown, das nichts anderes ist als die Verbotene Stadt und ein lebendiges Labyrinth, und fuhren mit dem Zug nach Williamsburg, das wie ein Dorf am Rande des Monsters Gotham anmutet. Hier lebt die Boheme der Stadt. Es gibt viele Künstler, Anwälte, Spinner, Ärzte, Popstars. Die Geschäfte in den Straßen sind meist klein und bieten seltsame Dinge an, die es in den großen Geschäften nicht gibt.
    Es gibt Delikatessen von überallher, denn hier leben Polen
und Juden und Puertoricaner und viele mehr, es ist ein Schmelztiegel der Nationen und Kulturen, ein Mekka für jeden, der neue Erfahrungen sammeln will, ein Ort, vergleichbar mit Montmartre in Paris oder Charing Cross in London. Es ist eine Gegend, die Schönheit zu schätzen weiß. Es gibt eine Ruine, die einmal ein deutsches Opernhaus war, und Fabriken und Reedereien gedeihen am East River, unten am Fluss. Es gibt Gebäude im Second-Empire-Stil und solche, die bald abgerissen werden könnten, wären da nicht die Einwohner, die ihr Heim mit allem verteidigen, was ihnen lieb und recht ist.
    Früher kamen die Vanderbilts und Rockefellers und Carnegies zum Baden an diesen Ort, doch heute ist von dem Glanz der alten Tage nur noch wenig zu spüren.
    Heute ist der Stadtteil bunt und lebendig.
    »Glauben Sie, dass wir hier die Antworten finden werden?«, fragte Scarlet, als wir die Subway an der Bedford Avenue verließen. Buster Mandrake saß ihr auf der Schulter, er hatte Gefallen an diesem Platz gefunden.
    »Die Tage sind derzeit voller Geheimnisse«, antwortete ich. »Wir werden sehen.«
    Wir stapften durch den Schnee.
    Scarlet genoss es, dass der Streifenschwanzmungo so nah bei ihr war. Sie war nicht allein. Buster erzählte von den vielen Dingen, die Streifenschwanzmungos interessieren, und Scarlet hörte zu. Er berichtete von seiner Kindheit, davon, wie es ist, aus einer Pflanze zu schlüpfen, den Geruch der Blüten in der Nase zu haben und zu wissen, dass die Rose, die dort blüht, die eigene Mutter ist. Er erzählte ihr, wie er mich kennenlernte, wie er Jake kennenlernte. Er erzählte ihr davon, wie sein Leben aussah. Er redete ununterbrochen,
und am Ende, als wir gerade dabei waren, die Subway zu verlassen, da legte er alle Förmlichkeit ab.
    »Du bist ganz schön seltsam«, sagte Scarlet daraufhin.
    Und Buster, dem die Schneeflocken das helle Fell benetzten, lächelte nur, so wie Streifenschwanzmungos es tun, wenn es ihnen gut geht.
    Dann erreichten wir die Ecke Berry Street, 9th Street. Ein altes, klappriges Schild zierte den Eingang des Eckhauses mit den roten Ziegelsteinen und lud zum Verweilen ein.

HAVISHAM’S
    stand darauf geschrieben, in Lettern, die uralt und ebenso abgegriffen zu sein schienen. Überhaupt alles an diesem Haus schien alt und staubig zu sein, sogar die Fenster, die milchglasige Augen waren, die kaum mehr als andeuteten, was sich dahinter verbarg.
    Eine Glocke bimmelte, als wir eintraten.
    Der Laden, in dem wir jetzt standen, glich einer behaglichen Höhle, in der einem die Kälte des Wintertags nichts anhaben konnte. Es war angenehm warm, selbst die Farben verströmten eine Ruhe wie schweigsames Holz. Regale säumten die hohen Wände. Sie waren vollgestopft mit Büchern aller Art und jeglichen

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