Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
Eine lange Feder ragte aus seinem breitkrempigen Hut, den er selbst hier in dem Raum nicht abnahm. »Ihr seid diejenigen, die Miss Hampstead aufgesucht hat.« Er lächelte freundlich. »Oh, entschuldigt, ich vergaß mich vorzustellen.« Er zog den Hut. »Mièville. Das sollte genügen.« Er bot uns einen Platz an seinem Tisch an.
»Wo sind wir?«, stammelte ich.
»Wir befinden uns in Zhang Kui.«
»Ihr meint, wir befinden uns in dem Drachen?«
»Sagte ich doch.«
»Wie kann das sein?«
Mièville zuckte die Achseln. »Was ist so ungewöhnlich daran? Es gibt Leute, die leben in Walen.«
»Hm.« Ich nahm an dem runden Tisch Platz. »Was tut Ihr hier?«
»Zhang Kui bietet mir Obdach, das ist alles.«
Scarlet schien sich auch nicht mehr darüber zu wundern.
Buster Mandrake lag in ihrem Schoß und schlief. Die Aufregung war wohl etwas groß gewesen für sein Streifenschwanzmungoherz.
»Wer seid Ihr?«, fragte ich.
Er drückte sich altmodisch aus. Sein Akzent war britisch, zweifelsohne. Ein Hauch von Cockney schwang in der Melodie seiner Stimme mit und ließ die Buchstaben in sanften Wellen fliegen.
»Ich bin Mièville«, sagte Mièville. »Ich bin ein Tunnelstreicher.«
»Ihr seid nicht von hier«, sagte Scarlet.
Er lachte. »Nein, ich komme aus London.«
»Was tut Ihr dann hier in Gotham?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Haben wir Zeit?«
Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, die haben wir nicht. Ihr müsst Euch schnellstmöglich an einen Ort begeben, wo jemand Euch treffen will. Doch so viel Zeit muss sein.« Er griff zum Tisch, wo eine lange Pfeife lag. Er zündete sie an und sog genüsslich daran. »London ist nicht mehr so, wie es einst war. Die neue Regentin diktiert der Stadt mit strenger Hand ihre eigenen Regeln. Die Garde hat weitreichende Befugnisse erhalten, und selbst die Metropolitan Police untersteht jetzt den Weisungen vom Regent’s Park.«
Scarlet hatte, wie ich selbst, keine Ahnung, wovon er redete.
»Eine Reihe von Bürgern hat London verlassen, als die neue Regentin die Regierungsgewalt an sich riss. Mylady Myriel Manderley ist ganz anders, als ihre Vorgängerin es war. Sie hat sich einen Berater erwählt, einen mysteriösen Lord namens Somnia. Er tauchte aus dem Nichts auf, und nach kurzer Zeit schon ging er bei den mächtigen Häusern der Stadt ein und aus.« Mièville blies Rauchkringel in die Luft über dem Tisch. »Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Ich habe London verlassen, weil es keine freie Stadt mehr ist. Die uralte Metropole hat sich in den vergangenen zwei Jahren zu sehr verändert. Und nicht alle Veränderungen sind gut, das wisst Ihr sicherlich am besten.«
Scarlet wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war in der Geschichte Londons nicht ausreichend bewandert.
»Es gibt Personen«, fuhr Mièville mit ernster Miene fort, »die mit Euch reden müssen. Sie haben London aus dem gleichen Grund verlassen, wie ich es getan habe.«
»Was war der genaue Grund?«
Mièville starrte sie an, als würde er sie kennen.
»Man hat mich gesucht.«
»Wer?«
»Alle. Die Metropolitan. Die Garde. Andere. Alle.«
»Ihr seid ein Verbrecher?«
»Gemessen an den neuen Gesetzen der Regentin? Ja, wenn Ihr es so seht, dann bin ich ein Verbrecher.«
»Was habt Ihr getan?«
»Ich habe Leuten geholfen. Leuten, die auf den schwarzen Listen standen.«
»Schwarze Listen?«
»Mylady Manderley ließ alle diejenigen, die ihr gefährlich werden konnten, auf Listen setzen. Man beschuldigte sie diverser Vergehen. Irgendetwas fand sich immer. Dann verhaftete man sie. Einige von ihnen, die weise genug waren, die Zeichen zu deuten und die Zukunft zu erahnen, bereiteten beizeiten ihre Flucht vor. Sie siedelten nach Amerika über.« Er wirkte nicht gerade glücklich, als er das sagte. »Dieses Land ist so anders. Man kann die Freiheit spüren, wenn man die Luft atmet.«
»Aber im Augenblick ist es nicht gerade ungefährlich in dieser Stadt.«
»Deswegen«, betonte er, »will meine Kontaktperson Euch sprechen. Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit.« Er sah uns beide ernst an. »Schlafwandler gab es auch in London. Eistote ebenso.«
»Es gibt einen Zusammenhang?«, fragte Scarlet.
»Den gibt es immer.«
»Wollt Ihr uns aufklären?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das wird jemand anders übernehmen.«
»Wer?«
Er nannte den Namen.
Buster erwachte, räkelte sich, blinzelte müde.
»Warum dieses Spiel mit dem Drachen?«
»Es war kein Spiel.« Mièville ließ keine
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