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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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werden. Dass Sie seine Tochter sind, wussten wir nicht. Wenngleich es jetzt, da wir es wissen, auch keinen sehr großen Unterschied macht. Das eigentliche Problem hat sich nicht verändert.«
    Es war Emily Marlowe, die es aussprach: »Sie dürfen nicht weiter nach ihm suchen.«
    »Aber warum denn nicht?« Scarlet verstand gar nichts mehr. Sie spürte leise die Schnauze des Streifenschwanzmungos an ihrem Hals. Sie machte ihr Mut, diese kleine kalte Nase. Denn sie war da. Sie war bei ihr. Und irgendwie hatte Scarlet das Gefühl, dass diese kalte Nase sie so schnell auch nicht wieder verlassen würde.
    »Ich sollte von vorn beginnen«, schlug Emily Marlowe vor, »denn es ist eine recht lange Geschichte.«

    Tristan Marlowe verabsentierte sich in einen Nebenraum.
    »Wittgenstein, müssen Sie wissen, verschwand vor einem halben Jahr. Kurz zuvor war er eine Woche wie vom Erdboden verschluckt, doch dann suchte er uns auf, mitten in der Nacht, und teilte uns nur mit, dass er uns unter gar keinen, aber auch wirklich gar keinen Umständen mitteilen könne, wo er sich aufhielt. Er würde fortgehen, das war das Einzige, was wir erfuhren. Gleichzeitig hielt er uns vor Augen, dass man uns verfolgen würde, weil man glauben könnte, dass wir etwas über seinen Aufenthaltsort wüssten. Die Regentin würde uns verfolgen lassen, wie sie es mit allen tat, die ihr im Wege waren.« Emily Marlowe schluckte, als fühle sie einen tiefen inneren Schmerz, der nicht nachlassen wollte. »Also verlie ßen wir sehr bald schon London und die uralte Metropole. Viele taten das.« Sie zupfte sich an den Haaren. »Mièville war einer von ihnen. Mina Hampstead folgte uns auch.«
    »Sie haben meine Mutter in ihrer Gewalt«, sagte Scarlet, um auf das Problem hinzuweisen. Das Problem, dessentwegen sie hier war. Dessentwegen sie nach Gotham gekommen war.
    »Ich weiß.«
    »Sie wird sterben, wenn ich ihn nicht finde.«
    »Sie wird auch sterben, wenn Sie ihn finden und zu ihr bringen. Lord Somnia benutzt sie nur als Druckmittel. Er wird niemanden am Leben lassen, der von all dem hier weiß. Deshalb dürfen Sie Ihren Vater nicht finden. Das dürfen Sie auf gar keinen Fall tun. Dann wäre alles vorbei. Wenn Sie Wittgenstein an Lord Somnia ausliefern, dann wird er all das erfahren, was er wissen will. Und das wird das Ende sein.«
    »Wessen Ende?«
    Tristan Marlowe kehrte mit einem Tablett zurück und stellte
drei Tassen englischen Tees auf den Tisch. »Das Ende der Welt, so wie wir sie kennen.« Er sagte das, als spräche er übers Wetter.
    »Was steckt hinter all dem?«, fragte ich. »Wissen Sie, worum es geht? Wann hat es angefangen?«
    »Hat es auf Roanoke Island begonnen?«, fragte Scarlet.
    »Nein, es fing alles noch viel, viel früher an. Zu einer Zeit, in der allein der Träumer herrschte.«
    Scarlet nippte an ihrem Tee. Er schmeckte bitter und war heiß.
    Und Emily Marlowe begann zu erzählen: »Es gab ein mächtiges Wesen, das die Engel als den Träumer bezeichnen. Der Träumer erschuf die Welt, die er sich erträumt hatte, um nicht allein sein zu müssen. Die Engel waren ihm untertan und lebten im Himmel, der in jenen Zeiten noch der Himmel des Träumers war. Es gab Gesetze, die aber alle die Gesetze des Träumers waren.«
    »Und es gab eine Kaste von Engeln«, setzte Tristan Mar lowe ein, »die diese Gesetze mit Schwertern aus Flammen hüteten.«
    Sie hießen Mala’ak ha-Mawet.
    »Zu Beginn waren alle Engel Brüder und Schwestern, doch es gab unter ihnen einen Engel, der die Macht der Liebe kostete. Lucifer, ein Lichtengel, der Anführer der Urieliten. Er hatte Angst, diese Liebe zu verlieren.«
    Er hatte erkannt, dass er ein Herz besaß. Und dieses Herz, das schenkte er Lilith, der Schönen vom Roten Meer. Er wusste, dass diese Liebe seinem Leben Sinn gab. Er fürchtete sich davor, diese Liebe verlieren zu können. Und diese Angst, die er in sich trug, war etwas, was es gar nicht geben durfte. Denn die Dinge waren so, wie der Träumer sie erschaffen
hatte. So waren sie schon immer gewesen, so und niemals anders.
    Emily sagte ernst: »Lucifer begann zu zweifeln.«
    Wie konnte der Träumer allmächtig sein, wenn die Schöpfung so fehlerhaft war wie er selbst?
    Wie konnte der Träumer denn weise sein, wenn er nicht einmal die Antworten auf die Fragen wusste, die er selbst seiner Schöpfung in den Mund gelegt hatte?
    Wie gerecht konnte ein Herrscher sein, wenn er die Gesetze, die er selbst erlassen hatte, von einer Kaste boshafter und kriegerischer

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