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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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dem Eissturm,
der sie umgab, auf und verwehten in der Nacht, als seien sie nie da gewesen. Der Wind trug das Heulen in die Ferne, weit fort und doch viel zu nah.
    Es wurde still.
    Scarlet betrachtete den Obdachlosen aus ihrem Versteck. Den Körper in dem schäbigen Mantel.
    Dann begann sie zu weinen. Sie weinte um den Obdachlosen, dessen Gesicht sie nicht einmal richtig gesehen hatte. Und sie weinte um das Leben, das er einmal geführt hatte. Es war ein Leben, das ihm schon lange vor diesem Tag genommen worden war.
    Die Welt, dachte sie, ist einfach nicht fair.
    Und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass auch sie eine Obdachlose war. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Sie wusste nicht, wohin sie gehörte. Sie wusste gar nichts mehr. Sie wollte hierbleiben und einfach nur nichts tun. Sie wollte schlafen, ausruhen, so müde wie sie war, nur schlafen und träumen und sich irgendwann vielleicht sogar erinnern.
    Scarlet seufzte.
    Sie wusste, dass sie nichts von alledem tun konnte. Es waren nur Gedanken, nichts weiter.
    Das Leben ging weiter, irgendwie, das tat es immer.
    Als draußen kein Stürmen und Heulen mehr zu hören war, da öffnete sich die Dornenhecke wieder, und zwei Zweige schoben Scarlet freundlich, aber bestimmt in die Winternacht hinaus. Dann schloss die hilfreiche Dornenhecke sich wieder, als sei das alles nie passiert.
    »Warum hast du das getan?«, fragte Scarlet die Dornenhecke.
    Die Dornenhecke raschelte nur. Das sollte Antwort genug sein.

    Scarlet Hawthorne, die sich über gar nichts mehr wunderte, ging langsam zu dem Obdachlosen. Regungslos verharrte sie neben ihm. Starrte ihn an.
    Er war alt. Eine Eisschicht bedeckte die Lumpen, die er trug, und das faltige Gesicht sah nicht friedlich aus. Scarlet blieb lange neben ihm stehen. Ihn anzufassen, traute sie sich nicht. Sie schaute ihn nur an und prägte sich sein Gesicht ein. Sie würde sich dieses Gesicht merken. Sie würde ihn nicht vergessen. Und wenn die ganze Welt diesen alten Mann vergessen hätte, sie würde das nicht tun. Sie wusste nicht, was das ändern würde, aber sie spürte, dass es das war, was sie tun musste.
    Dann verließ sie den Washington Square und flüchtete ohne Ziel weiter in die Nacht.
    Die erste Straße, in die sie einbog, hieß Waverly Place. Sie folgte der Straße, bis sie eine Kirche erreichte, die Kathedrale der Heiligen Zita. Sie überquerte die Straße, wich einem wütend hupenden Wagen aus und näherte sich einem roten Backsteinhaus.
    Dort hielt sie an, weil die Kraft sie verließ. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und sank zu Boden, und die flackernden Nachtlichter spiegelten sich in ihren Augen.
    Das war der Moment, in dem sich unsere Wege kreuzten.
    Ich ging auf sie zu, um ihr zu helfen. Und Scarlet Hawthorne, die nach Atem rang, sah eine ältere Dame mit wild gelocktem Haar, die ihr die Hand reichte und ein Lächeln aufsetzte. »Sie sehen wirklich aus wie jemand, der Hilfe benötigt«, stellte ich fest.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte sie. »Eigentlich nicht.« Dann sah sie mich zum ersten Mal richtig an und fragte: »Wer sind Sie?«

    »Ich bin Anthea Atwood«, stellte ich mich vor. »Aus Brooklyn.«
    Sie nickte nur, als hätte sie meinen Namen schon einmal gehört. Dann sagte sie leise: »Scarlet.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein rasselndes Keuchen, rau und rauchig. »Scarlet Hawthorne.«
    »Was tun Sie hier, zu dieser Stunde?« Ich hielt ihr noch immer die Hand hin.
    »Ich weiß nicht?« Es klang fast so, als richtete sie eine Frage an mich. »Ich laufe davon.« Sie lachte laut und verzweifelt auf. Es war das traurigste Lachen, das ich jemals gehört hatte.
    »Wovor?«
    »Das würden Sie mir nicht glauben.« Endlich ergriff sie meine Hand.
    Ich zog sie auf die Beine. »Oh, sagen Sie das nicht. Ich bin nämlich recht leichtgläubig.«
    Sie nickte langsam, schien sich zu fragen, ob sie mir trauen konnte. »Sie wollen mir helfen?«
    »Ist einen Versuch wert, oder?«
    Sie stand jetzt vor mir, in ihrem bunten Flickenmantel. Die Blutspritzer auf ihren Händen waren kaum zu übersehen. Sie war sehr blass und wirkte erschöpft. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen.
    »Ich denke, ich bin in New York?«, sagte sie.
    »Manchmal helfen Menschen einander«, entgegnete ich. »Nicht sehr oft, das muss ich zugeben. Aber manchmal tun sie es. Ja, manchmal schon.« Ich schaute mich vorsichtig um. »Wir leben in seltsamen Zeiten, gerade heute, hier und jetzt.«
    Ein lautes Heulen, das wie der Wind des

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