Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Sand
geschrieben, irgendwo, in einem fernen Land, in dem es niemals mehr Winter war.
    Sie schnappte nach Luft.
    Dann rannte sie weiter.
    Ein eisiger Wind begleitete das Heulen, und je schneller Scarlet lief, umso mehr beschlich sie die Vermutung, dass der eisige Wind und die Ursache des Geräuschs eng miteinander verbunden waren. Viel enger, als sie es sich ausmalen wollte.
    Sie spürte, wenngleich sie nicht wusste, warum, dass die Wesen, die ihr auf den Fersen waren, nur ihretwegen in die Stadt gekommen waren. Sie waren hier, um sie, Scarlet Hawthorne, zu fangen.
    Keuchend hielt sie an.
    Es war aussichtslos. Sie würde ihren Verfolgern nicht entrinnen. Sie würden gleich hier sein und dann …
    Sie berührte das Amulett mit dem zerrissenen Lederband.
    Das kehlige Eisheulen streifte fast ihr Gesicht.
    Sie war allein in der Winternacht. Sie stand mit dem Rücken an einer dichten, dornigen Hecke. Das würde also das Ende sein.
    Das Heulen sprang näher und näher, wirbelte durch die Luft.
    Bitte , flüsterte Scarlet tonlos, das darf einfach nicht das Ende sein . In diesen Wunsch flocht sich ein weiterer ein, der nicht weniger als stumme Verzweiflung war: Ich will leben .
    Der Schnee begann vom Boden aufzusteigen. Er formte etwas.
    Jaulend.
    Kreischend.
    Unaufhaltsam.
    Bitte …

    Scarlet spürte eine knorrige Berührung an der Schulter. Sie schrie leise auf und drehte sich ruckartig um. Eine Ranke des Dornenstrauchs hatte sich um ihren Stiefel gewickelt und zog sie sanft auf das dichte Blätterwerk zu. Überall raschelte es. Scarlet wusste nicht, wie ihr geschah, aber sie spürte im leisen Wispern des Dornengestrüpps, dass es ihr nichts zuleide tun würde. Sie verstand, dass die alte Hecke ihr helfen wollte.
    Eine Schnauze formte sich aus dem Schnee, zottiges Fell wurde mitten in der Luft geboren.
    Die Dornenhecke öffnete sich und zog die junge Frau mit einem Ruck in ihre Mitte. Dann schloss sie sich wieder.
    Scarlet lag auf dem Boden und wagte kaum zu atmen. Mäuse huschten vor ihr davon. Es roch nach dem gefrorenen Unterholz, nach Wurzeln und Zweigen und dem schlafenden dunklen Grün vergangener Sommer.
    Scarlet hörte ihren eigenen Herzschlag tosen.
    Ihre Hand hielt sich an dem Amulett fest, als sei dies ihr einziger Schutz.
    Draußen wurde der Schneesturm wilder und wilder. Die Schneeflocken und der eisige Wind formten sich zu einer Gestalt, die wölfisch und groß war. Ein tiefer Atem grollte durch die Nacht vor der Hecke, und Scarlet erbebte vor Angst, aber das Wesen schien sie nicht zu wittern.
    Es stand vor der Hecke auf dem Weg und reichte fast bis zur Laterne hinauf. Es knurrte tief, und seine Silhouette erinnerte an einen Wolf, der auf zwei Beinen stand. Ein schneeweißer Werwolf, aus einem Sturm geboren. Ein weiteres Wolfswesen trat aus dem Schneesturm heraus, reckte die Schnauze in die Höhe und gesellte sich zu dem anderen. Ein schneidender Schneesturm umwehte die Kreaturen. Der
Wind war eisiger als der normale Winterwind, unnatürlich eisig, ein Blizzard, der einen eigenen Willen besaß.
    Scarlet spürte, wie ein schmaler Ast sie berührte.
    Eines der Blizzardwesen kam auf den Dornenbusch zu und sog die Luft ein. Sein Atem ließ das Holz nahezu gefrieren. Überall knirschte und knackte es. Die kleinen Blätter des Busches waren mit einem Mal ganz starr und kalt und weiß. Die Dornen stellten sich auf und bogen sich in die Richtung des unheimlichen Besuchers.
    Scarlet hielt den Atem an.
    Sie hatte Angst, dass der Schlag ihres Herzens sie verraten könnte. Sie wusste, dass Raubtiere die Furcht ihrer Opfer zu wittern vermögen.
    Scarlet atmete ganz flach in ihre Hände, damit ihr Atem sie nicht verriet.
    Unvermittelt drehte sich die Blizzardkreatur um und starrte in Richtung MacDougal Street.
    Ein Obdachloser, der einen Einkaufswagen durch den Park schob, stand dort und starrte die Kreatur ungläubig an. Das große Blizzardwesen sprang ohne Warnung auf ihn zu, und noch bevor der Ahnungslose überhaupt wusste, wie ihm geschah, war er von einem Schneesturm umgeben, der ihn nicht mehr losließ. Sein Kreischen wurde vom Tosen des Sturms begraben, augenblicklich. Es war nur eine kurze Berührung, und es war schon vorbei, bevor es begonnen hatte, und der Obdachlose, dessen Haar ihm nun wie Eiszapfen vom Kopf abstand, lag erfroren am Boden.
    Scarlet traute sich nicht, sich zu bewegen. Sie zitterte am ganzen Leib.
    Die beiden Blizzardkreaturen nahmen ein letztes Mal Witterung auf, dann lösten sie sich wieder in

Weitere Kostenlose Bücher