Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Eismeeres klang, wehte durch die Nacht.

    »Das sind sie«, flüsterte die junge Frau, und die dunklen Augen blickten wild und aufgeregt die Straße hinab.
    »Wer?«
    »Die, die hinter mir her sind.«
    »Oh.« Ich starrte sie an. »Klingt nicht gut. Sie sollten mit mir kommen.«
    »Aber Sie kennen mich doch gar nicht.«
    »Oh, oh, daran habe ich gar nicht gedacht.« Ich zwinkerte ihr zu. »Nimm nichts mit nach Hause, was auf der Straße liegt. Sagt man das nicht?« Ich schaute mich um. »Wenn etwas, was solche Geräusche macht, hinter Ihnen her ist, dann sollten Sie bestimmt nicht allein durch die Nacht laufen.« Ich packte sie am Ärmel und zog sie hinter mir her. »Kommen Sie schon, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!«
    Wir gingen zur nächsten Subway-Station an der Ecke Christopher Street und Sheridan Square. Es musste schnell gehen, das Heulen wurde lauter. Unterwegs teilte mir die junge Frau namens Scarlet Hawthorne mit, was ich wissen musste. Es war eine seltsame und äußerst verworrene Geschichte voller Lücken und Rätsel, die außer einem klingenden Namen, einer seltsamen Dornenhecke, Blutspritzern auf den Händen und einem Amulett an einem abgerissenen Lederband wenig zu bieten hatte.
    »Sie sind sehr offen«, gestand ich ihr.
    »Ich habe nichts zu verlieren«, lautete die Antwort.
    »Das haben Sie gesagt.«
    Sie starrte mich an.
    »Sie fragen sich jetzt, ob Sie mir trauen können.«
    »Ja.«
    Ich seufzte. »Was soll ich sagen? Wenn Sie mir nicht über den Weg trauen können und ich böse Absichten verfolge,
dann werde ich Ihnen doch bestimmt versichern, dass Sie mir trauen können. Wenn ich Ihnen aber sage, dass Sie mir unter gar keinen Umständen trauen können, dann bedeutet das …« Ich schüttelte den Kopf. »Blödsinn, warum sollte ich das sagen?«
    Das Heulen erklang von Neuem.
    »Sie werden uns nicht nach unten folgen«, sagte ich. »Sie mögen die Wärme der Stadt unter der Stadt nicht.«
    »Wer?«
    »Ihre Verfolger.«
    »Sie wissen, wer diese Kreaturen sind?«
    Ich blieb kurz stehen. »Sehe ich nicht aus wie eine weise alte Frau?«
    Scarlet öffnete den Mund, sagte aber nichts. Sie lächelte.
    »Ah, ich sehe also aus wie eine weise alte Frau, stimmt’s?«
    »Nicht gerade … alt«, sagte Scarlet. »Nur weise.«
    Ich schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. Sie war höflich, wie schön! »Ich danke Ihnen, Scarlet Hawthorne. Aber ich bin nicht mehr so jung, wie ich es einst war. Nein, das nicht mehr, nicht wirklich. Eine alte Schachtel bin ich aber auch noch nicht. Wissen Sie, kleine Kinder halten mich zuweilen für eine Hexe.« Ich zwinkerte ihr zu. »Wegen der verrückten Frisur.«
    »Sind Sie eine?«, fragte Scarlet.
    »Was, eine Hexe?«
    »Ja.«
    »Ich sehe mich eigentlich lieber als ein Geheimnis.« Ich warf ihr einen langen Blick zu, leicht amüsiert. »Oder etwas Ähnliches. Eine Schamanin, sozusagen«, erklärte ich, »zumindest ist das die Bezeichnung, die von den Algonkin für jene, die das tun, was ich zu tun pflege, verwendet wird.«

    »Was tun Sie denn?«
    »Schamanische Dinge«, antwortete ich. »Sie sind ja gar nicht neugierig.«
    Die kugelförmige Straßenlaterne neben der Treppe in den Untergrund leuchtete noch, die Station war also noch immer geöffnet, und es fuhren Züge. Gut so. Wir eilten die Rolltreppe hinab, liefen den abwärtsfahrenden Stufen voraus.
    »Was sind das für Wesen?«, wollte Scarlet wissen.
    »Nun ja, ich bin mir nicht wirklich sicher. Aber nach dem, was Sie mir eben gesagt haben, hege ich eine Vermutung.«
    »Und die wäre?«
    »Es sind Wendigo, glaube ich. Sie sind selten geworden.«
    »Wendigo?«, wiederholte sie.
    »Sagte ich doch.«
    »Warum sind sie hier?«
    »So, wie es aussieht, um Sie zu jagen, junge Miss Scarlet.« Wir verließen die Rolltreppe. Ich blieb stehen und warf ihr einen strengen Blick zu. » Junge Miss Scarlet «, wiederholte ich die Anrede, die mir eben spontan eingefallen war. »Oh, das passt zu Ihnen, finden Sie nicht auch?« Sie schien damit einverstanden zu sein. »Wie alt sind Sie denn, junge Miss Scarlet? Ich schätze, Ende zwanzig. Wie meine Studenten.« Ich wartete die Antwort nicht erst ab. »Und Sie haben wirklich keine Ahnung, warum sie das tun? Die Wendigo, meine ich.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Und Sie wissen auch nicht, wo Sie selbst herkommen und wie Sie hierhergekommen sind. Ist das richtig?«
    Sie nickte. »Ich kenne ja nicht einmal mein richtiges Alter. Gar nichts.«
    »Sie tragen keine Papiere bei

Weitere Kostenlose Bücher