Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
sind die Giftspinnen die ehrbarsten unter den Arachniden. Sie gehörten zu denen, die mutig das Gift des Kojoten tranken.«
»Und der Kojote?«, hakte Scarlet nach.
»Der war ihnen bestimmt auf ewig dankbar dafür.« Jake schenkte Scarlet ein breites Grinsen. Die Listigkeit des Kojoten schien ihm zu gefallen.
»Der Träumer indes«, fuhr Queequeg unbeirrt fort, »war immer noch zornig. Er wollte den Spinnen das Geschenk, das er ihnen gemacht hatte, wegnehmen, doch mit dem Gift, das die Spinnen aus dem Kojoten getrunken hatten, war ihnen ein Teil der Magie des Träumers zugefallen. Sie gaben diese Magie weiter, von Generation zu Generation.«
»Und deswegen gibt es sie auch heute noch«, beendete Scarlet die Erzählung.
»Sie sagen es.«
»Eine schöne Geschichte«, sagte Jake, »aber hat sie sich auch wirklich so zugetragen?«
Queequeg zuckte die Achseln. »Ist das von Belang? Die Arachniden gibt es wirklich, wir werden ihnen schon bald gegenüberstehen. Viele alte Geschichten sind wahr, andere nicht. So ist es schon immer gewesen, so wird es immer sein.«
»Ja«, murmelte Jake nachdenklich.
»Und wo finden wir die Spinnen?«, fragte Scarlet.
Queequeg prüfte einen Durchgang, aus dem ein übel riechender Wind wehte. »Wo befindet sich das größte Spinnennetz der Stadt?«, stellte er versonnen die Gegenfrage, dann hockte er sich auf den Boden und ertastete unsichtbare Spuren, schnüffelte daran.
Scarlet zuckte die Achseln.
Queequeg sagte nur: »Die Brooklyn Bridge. Die Brücke der Sehnsüchte.«
Scarlet konnte sich an den Anblick der imposanten Brücke gut erinnern. Dass es dort Spinnen gab, war ihr nicht bekannt.
»Dort gibt es eine Kolonie«, erklärte ihr Queequeg. »Sie leben tief unten in den Fundamenten der Brückenpfeiler. In den heißen Monaten kommen sie nach oben und spannen ihre Netze zwischen den Drahtseilen der Hängebrücke. Eigentlich leben die Arachniden überall in der Stadt, doch ihre wirkliche Heimat befindet sich seit mehr als hundert Jahren tief in der Brooklyn Bridge. Sie haben geholfen, das große Netz zu spinnen, damals, als die Brücke erbaut wurde. In den Sommermonaten leben sie dort draußen, hoch oben in der Luft. Sie seilen sich an Fäden ab und schweben über dem East River, fangen die Fliegen mitten im Himmel, sind frei wie der Wind selbst. Doch wenn die Kälte über Gotham aufzieht, dann kehren sie in den Schutz der mächtigen Brückenpfeiler zurück.«
»Und dort besuchen wir sie.« Eigentlich war es gar keine Frage.
Queequeg nickte.
»Und Sie glauben, dass wir dort hineinspazieren können und sie uns den Aufenthaltsort des Kojoten verraten?« Jake wirkte skeptisch.
»Der Kojote ist eine schelmische Gottheit«, erklärte Queequeg. »Er ist dafür bekannt, dass er große Katastrophen herbeiführt. Er ist teils Mensch, teils Tier, je nachdem, welche Gestalt er annehmen möchte. Er ist ein Wandler, das war er schon immer. Er hat dem großen Schöpfer, dem Träumer, so lautet eine andere Geschichte, einst das Licht gestohlen und es dann den Menschen gebracht und zum Geschenk gemacht, nur um den Träumer erneut zu ärgern.« Queequeg konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Heute lebt er irgendwo in Gotham. Er ist immer auf Wanderschaft, allzeit rastlos. Er ist ein Betrüger, ein Schelm, jemand, der Monster tötet und sich dafür fürstlich bezahlen lässt. Man sagt, dass er vom Glücksspiel lebt. Und die Spinnen mögen ihn. Wir müssen ihnen klarmachen, dass wir dem Kojoten unter gar keinen Umständen ein Leid zufügen wollen. Ansonsten könnten wir Probleme bekommen.«
»Und Sie glauben, dass er uns zu Lady Solitaire führen kann, dieser Kojote?«
»Dass er es kann, zweifle ich nicht an, Miss Scarlet«, sagte Queequeg, »aber ob er es auch tun will, ist niemals sicher. Wir müssen uns vorsehen, er ist ein listenreiches Wesen.«
»Hm«, machte Scarlet nachdenklich.
»Hm«, machte auch Jake skeptisch.
Queequeg ging unbeeindruckt weiter. Alles, aber auch wirklich alles an ihm, jede Bewegung, jedes noch so stoische Mienenspiel, jede Tätowierung und jeder Atemzug, einfach alles an ihm schien aus tiefster Überzeugung zu verkünden, dass er genau wusste, was er da tat. Und da Jake und Scarlet keine Wahl hatten, folgten sie ihm auch weiterhin, stetig hinauf zur Subway, die durch die erdige Dunkelheit donnerte, und weiter und weiter darüber hinaus, immer nur weiter in Richtung
der träumenden Stadt, die nie, niemals richtig schlief und sie mit eisiger Luft und
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