Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
erklärte, er sei in der Argosie-Straße zu finden, und Vodalus – von dem hast du vielleicht gehört – trug mir einmal auf, eine Botschaft demjenigen zu überbringen, der zu mir sagte: ›Die pelagische Argosie sieht …‹«
    Ich konnte das Zitat nicht beenden. Auf dem Schiff, wo alles so leicht war, fiel das Kind ganz langsam vornüber; und dennoch reichte die Wucht des Aufpralls mit der Stirn am Boden für einen dumpfen Schlag. Bestimmt starb das Kind schon, als ich zu meiner großsprecherischen Rede ansetzte.
     

 
Der leere Ärmel
     
    Es war schon zu spät, als ich eiligst aktiv wurde, Idas auf den Rücken drehte, nach dem Puls tastete, auf ihre Brust einhämmerte, um das Herz durch diesen heilsamen Schock in Gang zu setzen, aber alles war vollkommen vergebens. Ich fand keinen Puls, nur den Gestank von Gift in ihrem Mund.
    Sie muß es am Leib getragen haben, nicht im Hemd; es sei denn, sie hatte die Kapsel im Dunkeln in den Mund genommen, um sie dann im Falle des Scheiterns zu zerbeißen und hinunterzuschlucken. Im Haar vielleicht (obwohl dieses, wie mir schien, zu kurz war, um irgend etwas darin zu verbergen) oder im Bund der Hose. Vom Haar oder vom Bund hätte sie es leicht unbemerkt in den Mund befördern können, als sie die Blutung an ihrem Arm stillte.
    Angesichts dessen, was geschehen war, als ich versuchte, den Steward wiederzubeleben, wagte ich dies bei ihr nicht. Ich durchsuchte sie, aber fand weiter nichts als neun Chrysos aus Gold, die ich in das Täschchen an der Messerscheide steckte. Sie hatte gesagt, sie habe sich für einen Chrysos einen Helfer angeworben; es war also davon auszugehen, daß Abaia (oder welcher seiner Diener sie auch geschickt haben mochte) sie mit zehn Münzen ausgestattet hatte. Als ich ihr die Stiefel von den Füßen schnitt, zeigte sich, daß die Zehen, die darin steckten, lang und mit Schwimmhäuten versehen waren. Ich zerschnipselte die Stiefel und durchsuchte sie, wie sie vor wenigen Wachen meine Habseligkeiten durchsucht hatte, aber fand ebensowenig, wie sie gefunden hatte.
    Als ich auf der Koje saß und die Tote betrachtete, mutete es mich seltsam an, daß ich mich hätte täuschen lassen, obwohl ich mich zunächst ganz bestimmt hatte täuschen lassen, täuschen lassen nicht so sehr durch Idas als durch meine Erinnerungen an die Undine, die mich aus den Seerosen des Gyoll befreit und die mich an der Furt angesprochen hatte. Sie war eine Riesin gewesen; demzufolge hatte ich Idas als hochaufgeschossenen Jüngling gesehen und nicht als Riesenkind, obwohl auch Baldanders sich ein recht ähnliches Kind – es war ein Knabe und viel jünger – in seinem Turm gehalten hatte.
    Das Haar der Undine war grün gewesen und nicht weiß; vielleicht war dies entscheidend. Es hätte mir klar sein müssen, daß so ein reines und lebhaftes Grün nicht im Haar oder Fell von Menschen oder Tieren vorkommt, sondern sich dort einstellt, wo Algen am Werk sind, wie etwa im Blut des grünen Mannes zu Saltus. Ein Seil, das man in den Teich hängt, setzt bald Grün an; wie dumm von mir.
    Idas’ Tod wäre zu melden. Mein erster Gedanke war, mit dem Kapitän zu sprechen und mich dadurch zu entlasten, daß ich ihn über Barbatus oder Famulimus kontaktierte.
    Ich hatte eben die Tür hinter mir geschlossen, als ich erkannte, daß eine solche Vermittlung ausgeschlossen wäre. Unser Gespräch in ihrem Gemach war ihre erste Begegnung mit mir; demzufolge war es meine letzte mit ihnen. Ich müßte den Kapitän auf andere Weise erreichen, meine Identität darlegen und den Vorfall melden. Idas hatte gesagt, drunten seien Reparaturen im Gange, und sicherlich würde ein Offizier dort die Aufsicht führen. So stieg ich denn abermals die zugige Treppe hinab, diesmal weiter als bis zu den Apport-Käfigen in eine noch wärmere und feuchtere Atmosphäre.
    Absurderweise hatte ich irgendwie den Eindruck, daß mein Gewicht, das in Höhe meiner Kabine nur gering war, sich noch mehr verringerte beim Hinabsteigen. Als ich vorher das Takelwerk erklommen hatte, war mir aufgefallen, daß es sich mit zunehmender Höhe verringerte. Daraus folgte, daß es zunehmen sollte, während ich Geschoß um Geschoß in den Bauch des Schiffes vordrang. Nun muß ich sagen, daß dem nicht so war, daß es mir zumindest nicht so vorkam, daß ich einen geradezu gegenteiligen Eindruck hatte.
    Bald vernahm ich Tritte auf der Treppe unterhalb von mir. Wenn ich während der letzten Wachen etwas gelernt hatte, so dies, daß nämlich jeder

Weitere Kostenlose Bücher