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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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gesehen hatte. Räuber schlagen in der Regel keine Beute unter Artgenossen. Gäbe es eine bessere Überlebensgarantie für das Beutetier als das Aussehen des Räubers?
    Der Mensch stellte es wohl vor schwerwiegende Probleme: Intelligenz, Sprache und selbst die Unterscheidung zwischen Haar auf dem Kopf und Kleidung auf dem Leib. Die zottige gestreifte Körperbedeckung mochte durchaus ein erster Versuch gewesen sein, Kleidung nachzuahmen, die Zak für einen organischen Bestandteil seiner Verfolger hielt. Bald wußte er es besser; und wäre er nicht wie alle übrigen von den Mutisten befreit worden, so hätten wir schließlich in seinem Gehege einen Nackten vorgefunden. Nun war er praktisch mehr oder weniger ein Mann. Aber es war kein Wunder, daß er vor mir floh – einem Vertreter der imitierten Spezies zu entkommen, der seine Maske zu entlüften versuchte, mußte ihm ein ganz und gar instinktives Bedürfnis gewesen sein.
    Während ich diesen Gedanken nachhing, spazierte ich in den Gang, in den Zak verschwunden war. Bald teilte er sich in drei Richtungen, und ich hielt kurz inne und war mir nicht schlüssig, wohin. Mir fehlten Anhaltspunkte für eine begründete Wahl, weshalb ich den Zufall entscheiden ließ: links.
    Ich war noch nicht weit gegangen, als ich merkte, daß mir das Gehen Mühe machte. Mein erster Gedanke war vielleicht, daß ich krank war, mein zweiter, daß mir eine Droge verabreicht worden war. Dennoch fühlte ich mich nicht schlechter als beim Verlassen des Schlupfwinkels, wo Gunnie mich versteckt hatte. Mir war nicht schwindlig, ich hatte nicht das Gefühl zu stürzen, und ich verspürte auch keinerlei Gleichgewichtsstörungen.
    Und dennoch fiel ich, noch während ich diese Gedanken faßte. Es entging mir zwar nicht, daß ich aus dem Gleichgewicht geriet; ich war einfach nicht imstande, das Gewicht durch raschen Schritt abzufangen, gleichwohl ich überaus langsam fiel. Meine Beine wurden von einer unbegreiflichen Kraft festgehalten, und auch die Arme, die ich heben wollte, waren wie gebunden; ich konnte sie nicht von der Seite heben.
    Frei schwebend hing ich, der überaus schwachen Anziehung des Schiffes ausgeliefert, in der Luft, aber ich fiel nicht. Besser gesagt, ich fiel so langsam, daß ich den schmutzigen braunen Boden des Ganges nie zu erreichen glaubte. Irgendwo in einiger Entfernung ertönte eine Glocke im Schiff.
    All dies hielt, ohne daß sich irgend etwas änderte, lange an, zumindest kam es mir sehr lange vor.
    Dann hörte ich schließlich Dritte hinter mir. Ich konnte den Kopf nicht drehen, um nachzusehen. Finger griffen nach dem langen Dolch. Ich konnte ihn nicht bewegen, aber ich krallte mich daran fest, hielt stand. Dann ein Ruck und Schwärze.
    Mir war, als wäre ich aus meinem warmen Lumpenlager gefallen. Ich tastete danach, spürte aber nur kalten Boden. Der Boden war nicht unbequem – dafür war ich zu leicht. Ich schwebte beinahe. Dennoch war es kalt, so eisig kalt, als triebe ich in einem der seichten Tümpel, die manchmal nach ein paar warmen Tagen auf dem vereisten Gyoll entstehen, zuweilen gar im tiefsten Winter.
    Ich wollte mich auf die Lumpen legen. Falls ich sie nicht fände, würde auch Gunnie mich nicht wiederfinden. Ich tastete danach, aber sie waren nicht da.
    Um sie zu finden, breitete ich meinen Geist aus. Ich kann es nicht erklären; es schien mir keinerlei Mühe zu bereiten, das gesamte Schiff mit meinem Geist auszufüllen. Ich kannte die Frachträume, in denen wir herumkrochen, wie Ratten in einem Haus durch die Mauern kriechen, die seine Räume umschließen, und es waren gewaltige Höhlen voller wunderlicher Waren. Die Mine der Menschenaffen hatte Silberbarren und Gold enthalten; aber jeder Frachtraum des Schiffes (und davon gab es viel mehr als sieben) war weitaus größer, und die geringsten ihrer Schätze stammten von fernen Sternen.
    Ich kannte das Schiff, seine wunderlichen Mechanismen und jene noch wunderlicheren, die in Wahrheit weder Mechanismen noch Lebewesen noch sonst irgend etwas waren, wofür wir Worte haben. Es barg viele Menschen und viele mehr, die keine Menschen waren – schlafende, liebende, arbeitende, kämpfende. Ich kannte sie alle; einige erkannte ich wieder, viele aber nicht.
    Ich kannte die Masten, die hundertmal größer waren als der Durchmesser des Schiffes; die gewaltigen Segel, die sich wie Meere ausdehnten, riesige Gebilde in zwei Dimensionen, die in der dritten kaum existierten. Einmal hatte mir ein Bild des Schiffes angst

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