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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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die Hälfte oder sogar alle beim ersten Schuß davonliefen. Ich suchte mir eine Position am Schwanzende der zerstreuten Kolonne, um die Anzahl der Deserteure besser einschätzen zu können. Solche schien es nicht zu geben, und die meisten zu Kriegern aufgestiegenen Matrosen erweckten den Eindruck, daß sie eine ordentliche Schlacht als willkommene Abwechslung zum tristen Alltagstrott ansähen.
    Wie bei jedem Kriegsgeschehen, das ich erlebte, verzögerte sich der Kampf. Eine Wache lang oder länger marschierten wir durch das Innere des Schiffes, wobei wir einmal einen gewaltigen hallenden Raum betraten, einen leeren Frachtraum vermutlich, ein andermal grundlos und unnötig Rast machten und zweimal Verstärkung bekamen durch kleine Matrosenhaufen, die mehr oder weniger menschlich wirkten.
    Für jemanden, der wie ich Armeen geführt oder – wiederum wie ich – an Schlachten teilgenommen hat, in denen ganze Legionen vergangen sind wie Gras in einem Ofen, ist es eine große Versuchung gewesen, unsere Bewegungen und Aufenthalte mit Amüsement zu verfolgen. Ich schreibe ›Versuchung‹, weil es eine Versuchung im strengen Sinn gewesen ist: schlecht, weil falsch. Das trivialste Geplänkel ist trivial nicht für den, der darin umkommt, und sollte letztendlich auch für uns trivial nicht sein.
    Freilich will ich gestehen, daß ich der Versuchung nachgegeben habe wie manch andrer Versuchung auch. Ich amüsierte mich und amüsierte mich erst recht, als Sidero (der mich offensichtlich an eine sichere Position bringen wollte) eine Nachhut bilden ließ, über die er mir das Kommando gab.
    Die mir anvertrauten Seeleute waren offensichtlich solche, denen er am allerwenigsten Standhaftigkeit zutraute, wenn sich unser kläglicher Haufen in den Kampf stürzte. Von den zehn Leuten waren sechs Frauen, allesamt Frauen, die beträchtlich kleiner und schwächer als Gunnie waren. Drei von den vier Männern waren unterdurchschnittlich klein und nicht mehr auf der Höhe ihrer Kraft, wenn nicht gar greis; ich war der vierte und der einzige, der mit einer bessren Waffe als einem Arbeitsmesser oder Brecheisen bestückt war. Auf Sideros Befehl gingen wir – von marschieren konnte keine Rede sein – zehn Ketten hinter dem letzten Zipfel der Truppe her.
    Wäre ich dazu imstande gewesen, hätte ich meine neun Leute gern geführt, denn ich war darauf bedacht, daß ein jeder der armen Wichte Gelegenheit zur Fahnenflucht hätte. Indes war es mir unmöglich: die wechselnden Farben, das flimmernde Licht im Schiffsinnern wirkten nach wie vor verwirrend auf mich. Ich hätte auf der Stelle den Anschluß an Sidero und seine Truppe verloren. Als beste machbare Alternative schickte ich den noch am geeignetsten erscheinenden Matrosen in bestimmtem Abstand voraus, während alle übrigen hinter uns hergehen und zurückfallen durften. Ich gebe zu, überlegt zu haben, ob wir so überhaupt merken würden, wenn unsere Spitze Feindkontakt bekäme.
    Den bekam sie nicht, und wir merkten das ohne Verzug.
    Als ich an meinem Führer vorbeischaute, sah ich etwas herbeispringen, das ein wirbelndes vielschneidiges Messer schleuderte und sich mit den schultergewaltigen Sätzen eines Thylacosmil auf uns warf.
    Obwohl ich mich nicht entsinne, Schmerz verspürt zu haben, hemmte die schmerzhafte Verbrennung die Bewegung meiner Hand. Als ich die Pistole endlich aus dem Halfter hatte, setzte der Gierer schon über den Leichnam des unglückseligen Matrosen hinweg. Ich hatte die Einstellung der Pistole nicht erhöht, das mußte Sidero gewesen sein; die gebündelte Energie, die den Gierer traf, zerriß ihn, daß die Fetzen seines gliederlos gewordenen Leibes mir am Kopf vorüberschneiten.
    Es blieb keine Zeit für eitlen Siegestaumel, geschweige denn zur Hilfeleistung an unserm Führer, der mir zu Füßen lag und den das vielspitzige Messer des Gierers zur Ader ließ. Ich hatte kaum innegehalten, um seine Wunde zu betrachten, als zwei mal zwanzig Gierer von einer Galerie stürmten. Ich feuerte fünf Schüsse ab, so schnell ich den Abzug betätigen konnte.
    Eine Flamme aus einem Contus oder Speer brauste wie ein Ofenloch und besprühte das Schott hinter mir mit blauem Feuer, und ich drehte mich um und rannte, so schnell mein lahmes Bein mich tragen wollte, an die hundert Ellen weit, wobei ich die verbliebenen Matrosen vor mir hertrieb. Während unserer Flucht konnten wir hören, wie die Gierer unserer Truppe in den Rücken fielen.
    Drei verfolgten uns. Ich schoß sie nieder und

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