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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Kopf.
    Schließlich wurden wir langsamer – wir schienen nicht mehr so schnell zu fallen. Ich wurde an die Sprünge durchs Takelwerk erinnert, denn auch hier schien der blinde Hunger auf Materie vermindert zu sein. Ich sah den eigenen erleichterten Ausdruck in Gunnies Miene wieder, als sie sich an Apheta wandte und fragte, wo wir seien.
    »In unsrer Welt – unserm Schiff, wenn dir diese Bezeichnung lieber ist, obwohl es nur um unsre Sonne kreist und keine Besegelung braucht.«
    Eine Tür hatte sich aufgetan in der Wand des Schachts, und obwohl wir nach wie vor zu fallen schienen, ließen wir diese Tür nicht hinter uns. Apheta zog uns dorthin, zog uns in einen schmalen dunklen Korridor, den ich pries, als ich festen Boden unter den Füßen spürte. Gunnie stammelte: »Auf unserm Schiff haben wir kein Wasser an Deck.«
    »Wo habt ihr’s denn?« fragte Apheta gedankenversunken. Erst als mir auffiel, daß ihre Stimme hier ungleich kräftiger war, bemerkte ich das Geräusch, ein Summen wie von Bienen (wie trefflich ich mich daran erinnerte!) und fernes Klimpern und Klappern, wie wenn ein Streitroß über einen Bohlensteg galoppiert, und unsichtbare Heuschrecken dazu zirpen in den Bäumen, die hier sicherlich nicht gedeihen konnten.
    »Innen«, erklärte Gunnie. »In Tanks.«
    »Muß ja fürchterlich sein an der Oberfläche einer solchen Welt. Hier freut man sich richtig darauf.«
    Eine Frau, die Ähnlichkeit mit Apheta hatte, kam auf uns zu. Sie bewegte sich erheblich schneller, als ihr Schreiten ermöglicht hätte, so daß sie im Nu vorbeirauschte. Ich drehte mich nach ihr um und fühlte mich plötzlich daran erinnert, wie der grüne Mann in den Korridoren der Zeit verschwand. Als sie nicht mehr zu sehen war, sagte ich: »Ihr kommt nicht oft an die Oberfläche, stimmt’s? Hätte ich mir denken können – ihr seid alle so blaß.«
    »Es ist eine Belohnung für uns nach langer harter Arbeit. Auf eurer Urth arbeiten Frauen, die so aussehen wie ich, überhaupt nichts, habe ich mir sagen lassen.«
    »Das stimmt nicht mehr«, erwiderte Gunnie.
    Der Korridor teilte sich und teilte sich abermals. Wir sausten dahin, und ich hatte den Eindruck, daß wir entgegen dem Uhrzeigersinn eine große Kurve beschrieben, die sich immer tiefer schraubte. Apheta hatte gesagt, ihr Volk liebe die Spirale; vielleicht stand auch die Helix hoch in seiner Gunst.
    Wie eine Welle plötzlich vor dem Bug einer sturmgepeitschten Carraque aufschießt, so tauchte vor uns eine mattsilberne Flügeltür auf. Wir hielten an, als hätten wir uns nie schneller bewegt als in gemächlichem Schrittempo. Apheta drückte gegen die Türen, die ächzten wie Klienten, sich aber nicht öffnen wollten, bis ich drücken half.
    Gunnie blickte hinauf zum Türsturz und rezitierte, als würde dort geschrieben stehen: »Wer hier eintritt, ist hoffnungslos verloren.«
    »Nein, nein«, murmelte Apheta, »ganz im Gegenteil.« Das Summen und Klappern hatten wir hinter uns gelassen.
    Ich fragte: »Werde ich hier lernen, die Neue Sonne zu bringen?«
    »Das brauchst du nicht zu lernen«, erklärte sie mir. »Du gehst schwanger mit dem Wissen, und es wird geboren, sobald du dem Weißen Born so nahe bist, daß du es gewahrst.«
    Ich hätte über ihre Metapher gelacht, hätte nicht die schiere Leere des Raumes, der uns aufnahm, jede Heiterkeit gedämpft. Er war weiter als der Gerichtssaal und hatte silberne Wände, die sich zu einem mächtigen Deckengewölbe emporschwangen, dessen Krümmung der Flugbahn eines hochgeworfenen Steins glich. Aber er war leer, gänzlich leer bis auf uns, die wir tuschelnd auf seiner Schwelle standen.
    Gunnie wiederholte: »Hoffnungslos verloren«, und ich merkte, daß sie vor lauter Angst gar nicht auf Apheta oder mich achtete. Ich legte ihr den Arm um die Schulter (obwohl die Geste komisch wirkte bei einer Frau, die mir an Größe ebenbürtig war), um sie zu trösten, während ich ständig überlegte, daß es töricht von ihr wäre, meinen Trost anzunehmen, war es doch offensichtlich, daß ich hier nicht mehr ausrichten könnte als sie selbst.
    Sie fuhr fort: »Wir hatten mal eine Matrosin, die das sagte. Sie hatte immer gehofft, heimzukommen, aber wir landeten nie in ihrer Zeit, und nach einer Weile starb sie.«
    Ich fragte Apheta, wie ich zu solchem Wissen gekommen sei, ohne etwas davon zu merken.
    »Tzadkiel hat’s dir im Schlaf gegeben«, erwiderte sie.
    »Das heißt, er kam letzte Nacht in dein Zimmer?« Ich hatte es schon ausgesprochen, als ich

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