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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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vergessen hatte?
    Die Stunden und Tage wurden ihr mehr und mehr zu einem Wechselbad der Gefühle. Wenn es ihr gelang, bei kühlem Verstand nachzudenken, wurde ihr klar, wie aussichtslos jeder Funken Liebe war, der in ihrem Innern für Moritz entbrannte. Zum Verlöschen verdammt waren sie allesamt, denn sie weilte hier als Mann und würde ihr wahres Geschlecht niemals zeigen dürfen, wollte sie nicht als Betrügerin vor Gericht landen. Das einzig Richtige wäre gewesen, weiterzuziehen und Moritz ein für alle Mal zu vergessen. Allein – das vermochte sie nicht. Wie festgewurzelt saß sie hier auf diesem Gutshof, wie gelähmt, ein Spielball ihrer Stimmungsschwankungen: War Moritz nicht bei ihr, sehnte sie sich bar jeder Vernunft nach ihm, war er bei ihr, ertrug sie es kaum noch, ihren albernen Mummenschanz, ihr Fatzwerk aufrechtzuerhalten.
    Warum nur machte er es ihr so schwer? Warum suchte erimmerfort ihre Nähe, das Gespräch mit ihr? Manchmal war sie nahe daran, ihn bei den Schultern zu packen und zu schütteln. Kein Tag verging, an dem er nicht in der Werkstatt auftauchte, um sich mit dem Stallmeister über das neue Geschirr oder mit dem Dorfschmied über den Beschlag der Pferde auszutauschen. Am Ende hockte er sich dann jedes Mal zu ihr, wie sie selbst mitten auf den Boden mit gekreuzten Beinen, und verwickelte sie in Gespräche über Gott und die Welt. Immer häufiger allerdings hielt er mitten im Reden inne, verhaspelte sich, lief rot an, sprang auf und verabschiedete sich eilig. Wenn er dann fort war, dauerte es unendlich lange, bis sich Evas Herzschlag wieder beruhigt hatte.
    Des Nachts lag sie inzwischen schlaflos in ihrer winzigen Kammer, mal rasend vor Glück über eine liebevolle Bemerkung, ein gemeinsames Lachen oder gar eine flüchtige Berührung, mal den Tränen nah über die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe. Tagsüber arbeitete sie oft fahrig, vergaß Anweisungen oder verlor sich in Träumereien. Das Gesinde zog sie schon auf deswegen, und einige nannten sie, halb scherzhaft, halb missgünstig, Junkerhündchen – zumindest so lange, bis sie dem Erstbesten die Faust auf die Nase geschlagen hatte. Und dann gab es da noch Hartmann von Zabern, diesen intriganten Hofmeister, dem der ungezwungene Umgang zwischen dem Junker und einem Schneiderknecht ein rechter Dorn im Auge war. Bald schon erfuhr Eva, dass er sie drüben im Herrenhaus schlechtmachte, wo er nur konnte.
    Als der Erntemonat zu Ende ging und ihre vierte Woche auf dem Landgut anbrach, war sie nahe daran, dem Junker die Wahrheit zu gestehen. Nur, dass damit alles vorbei wäre! Was anderes als Geringschätzung konnte er für sie übrig haben, wenn er, als Edelfreier, erfuhr, aus was für einem schäbigen Stall sie stammte und was für ein Leben sie die letzten Jahregeführt hatte? Mochte Moritz sich, als brüderlicher Freund, für den gewitzten Schneidergesellen Adam Portner erwärmen – mit der Stieftochter eines hergelaufenen Tunichtguts, mit einer Betrügerin und Landfahrerin würde er ganz gewiss nichts mehr zu tun haben wollen.

28
    Eva füllte gerade glühende Holzkohle in das schwere Hohleisen, um sich ans Ausbügeln der Hosennähte zu machen, als sie von draußen wütendes Gezeter hörte.
    «Ich bin kein Dieb! Lass mich los!»
    Sie erkannte die Stimme des Torwächters, dann das Geblöke Hartmanns von Zabern. Seitdem der alte Ährenfels hier Aufenthalt genommen hatte, kam es ständig zu Zank und Hader, und daher kümmerte sich Eva nicht weiter darum. Im nächsten Augenblick allerdings stand der Hofmeister bei ihr im Türrahmen. Das rote Gesicht und sein schwerer Atem zeugten von großer Aufregung.
    «Los, Schneiderlein, raus mit dir!»
    Die grelle Mittagssonne im Hof ließ sie blinzeln. Sie sah den Rotbart am Brunnenrand stehen und im selben Moment ein blitzendes Etwas in der Faust des Hofmeisters: ihr Jagdmesser!
    Das schleuderte Hartmann von Zabern ihr jetzt vor die Füße.
    «Wiederhole, was du mir eben gesagt hast», schnauzte er den Wächter an.
    «Es ist von dem da!» Der Rotbart deutete auf Eva. «Ich hab es damals bei seinen Sachen gefunden.»
    «Dann hast
du
es also gestohlen, Schneiderlein.» Von Zabern baute sich vor Eva auf. Er war kaum größer als sie, dafürdreimal so breit. Verächtlich kniff er die Augen zusammen. «Deshalb also schleimst du dich so an unsern jungen Herrn ran. Glaubst, so könntest du ab und an was mitgehen lassen. Wart nur, Bürschchen, bis der Alte über dich den Stab bricht. Mit Vergnügen streich ich dir

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