Die Vagabundin
dann die Ruten über den Buckel.»
«Aber das ist nicht wahr! Ich hab das Messer nicht gestohlen.»
«Also gibst du zu, dass es deins ist!»
Eva biss sich auf die Lippen. Wenn sie jetzt etwas erwiderte, würde sie sich in Teufels Küche bringen.
«Was ist hier los?»
Mit seinen langen, schlaksigen Schritten kam Moritz von Ährenfels herangeeilt.
«Mit Verlaub, Junker: Ich hab dieses Jagdmesser da im Torhäuschen gefunden, auf dem Tisch von unserem Rotbart. Er behauptet, es gehöre dem Schneider. Der ja wiederum seines seit geraumer Zeit vermisst.»
«Na und? Was schert Euch das, Hartmann von Zabern?»
Der Hofmeister entblößte seine gelblichen Zähne vor Schadenfreude.
«Es wäre mir in der Tat vollkommen wurscht – trüge der Knauf nicht das Wappen Eures Geschlechts.» Er bückte sich und klaubte das Messer vom Boden auf. «Insofern ist dies ein Fall für Euren Herrn Vater, den Haus- und Hofherrn und Richter hier. Soll ich ihn gleich holen lassen?»
«Nein, wartet.»
Moritz starrte abwechselnd auf das Messer und auf Eva.
«Also, Adam: Ist das das Messer, das du verloren hast, als du zu uns kamst?»
Wie liebend gern hätte Eva diese Frage verneint, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen – indessen konnte sie es nicht.Nicht unter dem Blick aus diesen Augen, deren Grün sich jetzt verdunkelte.
«Ja, gnädiger Herr.»
«Und woher hast du es?»
In ihrer Not begann sie, Lüge und Wahrheit miteinander zu vermengen.
«Meine Base hat’s mir geschenkt, als ich auf Wanderschaft ging. Sie selbst hat es gefunden, am Wegesrand, bei dem Städtchen Neumarkt.»
«Neumarkt?» Moritz hob überrascht die Augenbrauen.
«Ja.» Eva unterdrückte ein Seufzen. Herr im Himmel, wie dumm sie war!
«Nun – somit hat sich der Knoten gelöst. Ich erinnere mich: Eben solch ein Messer hatte ich verloren, als ich einem Gaunerpaar auf die Pelle gerückt war. Und das war bei Neumarkt, genau wie du sagst.»
Er wandte sich an den Hofmeister.
«Was ist, Hartmann von Zabern? Ihr könnt wieder Eurer Wege gehen. Und du auch, Rotbart.»
Als Eva und Moritz schließlich allein am Brunnen standen, reichte er ihr das Messer.
«Hier, nimm. Es ist deins.»
«Aber nein.» Eva schüttelte den Kopf. «Wenn Ihr es doch»– ihre Stimme wurde rau –, «wenn Ihr es doch verloren habt.»
«Ich habe es nicht verloren. Ich habe es verschenkt.»
Er schien ganz weit weg. Plötzlich packte er ihr Handgelenk, so fest, dass es schmerzte.
«Eva! Sie hieß Eva! Und ich hab sie aus einem gottverdammten Hurenkarren befreit!»
Es war, also wolle der Sommer die Herrschaft um keinen Preis abgeben. Obwohl die Tage längst kürzer wurden, wurde esgegen Mittag heiß wie im Hochsommer, und den Menschen wurde die Arbeit zur Qual. Endlich war die Ernte unter Dach und Fach, das Korn auf der Tenne gedroschen. Dem Gesinde des Herrenhofs wurde an diesem Samstag auf Mariä Geburt ein freier Tag vergönnt, bevor am Montag dann mit der Vorbereitung der Winteraussaat begonnen werden sollte. Dass Roderich von Ährenfels abgereist war, um seine Stammburg aufzusuchen, erhöhte die Stimmung beträchtlich.
Rasch war es unter den Dienstboten ausgemachte Sache, dass man sich nach dem Dankgottesdienst am nahen See zum Baden treffen und auch die Brotzeit dort einnehmen würde. Für Eva war selbstredend allein der Gedanke, mit einem Rudel halbnackter Menschen im See herumzutoben, ein Alb. Sie würde irgendeine Ausrede finden müssen, wie schon einige Male zuvor, als die anderen sie zum Baden hatten mitnehmen wollen.
Gleich nach dem Kirchgang versuchte sie, sich klammheimlich in die Werkstatt davonzustehlen, aber Franzi und der Küchenjunge hielten sie auf:
«He, wo rennst denn hin? Hilf uns lieber das Glump für die Brotzeit aufladen.»
«Tut mir leid, ich kann nicht mit zum See. Ich hab noch zu tun.»
«Bist du damisch? Alle gehn heut zum See. Sogar die Herrschaften. Und der junge Moritz hat ein Fasserl Bier gestiftet!»
«Ich weiß nicht. Ich kann auch gar nicht schwimmen.»
Letzteres war selbstverständlich gelogen.
«Ja mei, dann kommst halt so mit! Oder willst hier allein mit dem lädscherten Rotbart versauern?»
Eva schüttelte den Kopf. Sie wusste selbst nicht, was sie wollte. Seit jenem Zwischenfall mit dem Jagdmesser hatte sie den Junker nicht mehr gesehen, und sie fragte sich, ob das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Auf jeden Fall hatte sieden Eindruck, als ginge er ihr aus dem Weg. Er tauchte nicht mehr in der Werkstatt auf, und
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