Die Vagabundin
nächsten Sonntag?»
«Ja. Ganz bestimmt!»
Von nun an schien das Eis zwischen ihnen gebrochen. Die Tage bis zum Sonntag vergingen Eva immer viel zu langsam, voller Ungeduld fieberte sie auf die wenigen Stunden hin, die sie dann mit ihrer Freundin zusammen war. Irgendwann verbrachte sie wieder eine Nacht bei ihr im Spital, in aller Heimlichkeit, dannzwei Wochen später erneut, dann ein weiteres Mal, bis so gar nichts Seltsames mehr dabei war.
Im Grunde hatte Kathrin noch immer etwas von der Jungfer im Kloster an sich, die sie einmal war. Immer wenn das Licht gelöscht war, zog sie sich bis auf Leibchen und Unterrock aus, wobei sich Eva, obwohl es stockdunkel war, züchtig zur Wand drehen musste, bis die Freundin unter der Bettdecke verschwunden war. Dann streifte Eva alles ab, bis auf ihr Hemd und ihre kurze Unterhose. Hand in Hand lagen sie dann dicht beieinander und redeten, bis der Schlaf sie einholte.
So gar nichts Zweideutiges hatte Kathrins Verhalten – hatte sie sich deren verliebte Blicke also nur eingebildet? Für Eva jedenfalls waren das die schönsten Tage, wenn sie abends nicht zurück in ihre enge, muffige Kammer im Gerberviertel musste. An Kathrins Seite fühlte sie sich geborgen, bei ihr quälten sie nachts keine bösen Träume. Oftmals umarmten sie sich in aller Herzlichkeit, und wenn sie sich nach einer gemeinsamen Nacht noch vor Sonnenaufgang zur Pforte schlichen, Kathrin mit ihrem großen Schlüssel in der Hand, gickelten und alberten sie wie kleine Mädchen. Die schreckliche Enttäuschung mit Moritz erschien ihr ferner denn je, und irgendwann würde sie ihn einfach vergessen, ganz gewiss.
Auch mit ihren Aufträgen seitens des Tuchhändlers lief alles hervorragend. Dass sie inzwischen erheblichen Ärger mit der Zunft hatte, bekümmerte sie nicht wirklich. Man ermahnte und rügte sie wegen ihrer unzünftigen Zuarbeit, und im Gottesdienst durfte sie nicht mehr auf der Gesellenbank Platz nehmen. Einzig hart traf sie, dass ihr eines Tages der Zutritt zur Trinkstube verwehrt wurde; zum einen, weil sie von den Knechten und Lernknechten endlich als eine der Ihren aufgenommen war, zum anderen, weil sie dort nun nicht mehr speisen durfte. Das sehr viel teurere und schlechtere Essen in einerder Garküchen an der Stadtmauer riss jedes Mal ein kleines Loch in ihre Geldkatze.
Dann, Anfang Mai, überschlugen sich die Ereignisse. Den Beginn machte eine Begegnung mit Meister Hasplbeck. Eva kam gerade aus der Wurstkuchl beim Salzstadel, wo sie sich nachdrücklich über die verbrannten Bratwürste beschwert hatte, als ihr ausgerechnet der Bader über den Weg lief. Sie tat, als habe sie ihn nicht gesehen, doch das Männlein packte sie mit einer erstaunlichen Kraft beim Arm.
«Das schau ich mir nicht länger mit an!», keifte der. «Die Spitalmutter vor aller Welt zur Hure machen.»
«Lasst mich in Ruh!» Sie schüttelte seinen Arm ab. «Sonst zeig ich Euch an wegen verleumderischer Rede.»
«Das werden wir ja sehen, Adam Auer!»
Mit eisigem Gesicht ließ Eva ihn stehen, innerlich aber zitterte sie. Nicht um sich selbst sorgte sie sich, sondern um Kathrins Ruf und Ehre. Künftig würden sie sich besser nur noch außerhalb der Spitalmauern treffen.
Als sie in ihre Gasse einbog, traute sie ihren Augen nicht: An der Tür zu ihrem Haus wartete Kathrin, halb vermummt, nur Augen und Nase lugten aus dem Schultertuch hervor. Dennoch hatte Eva sie sofort erkannt, und ein ungutes Gefühl beschlich sie. Noch nie war sie an einem gewöhnlichen Wochentag zu ihr herausgekommen.
Rasch zog sie die Freundin in den Hausgang.
«Was ist los?»
«Der Spitalmeister hat mich ins Gebet genommen.» Um Kathrins Mundwinkel zuckte es. Sie schien den Tränen nah. «Das würd sich nicht schicken, dass du bei mir ein und aus gehst. Nicht nur um meine Ehre würd es dabei gehen, sondern auch um den Ruf des Spitals. Wenn das nicht sofort aufhöre, müsste er mich vor den Spitalrat bringen.»
Jetzt kamen ihr doch die Tränen. «Ach, Adam, stell dir vor: Irgendwer hat uns beobachtet, wie wir frühmorgens zum Tor geschlichen sind.»
«Der Bader! Dieser elende Schelm!»
«Es war so demütigend! Der Spitalmeister hat sogar gedroht, mit seinem Bruder zu reden, damit er dir keine Arbeit mehr gibt. Dabei haben wir doch nie was Unrechtes getan!»
«Jetzt weine nicht.» Eva wischte ihr die Tränen von den Wangen. «Ich komm halt erst mal nicht mehr ins Spital, das ist alles. Dass wir hier sonntags spazieren gehen, kann uns keiner
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