Die Vagabundin
bis ins Mark: Mit dem Rücken zu ihr, leise schnaufend, lag Kathrin Barreiterin! Gütiger Herr im Himmel, was war da geschehen? Wie war sie, in all ihren Kleidern, ins Bett der Spitalmutter geraten?
Unter heftigem Kopfschmerz versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Es musste früh am Morgen sein, der Nachthimmel vor dem Fenster färbte sich eben rosa. Gestern hatte sie dem Schiffsmeister die beiden Briefe mitgegeben, danach war sie irgendwann im Spital gelandet, hatte Kathrin bei der Arbeit geholfen, um hernach mit ihr im Speiseraum zu Abend zu essen. Aber was war dann geschehen? Warum war sie nicht bei sich zu Hause? Oh, dieser vermaledeite Rotwein – sie hätte es wissen müssen! Wo sie doch keinen Schluck zu viel vertrug.
Ein zweites Mal durchfuhr es sie siedend heiß: Was, wenn die Barreiterin ihr Geheimnis entdeckt hatte?
«Adam?»
Mit einem verschlafenen Grunzen wandte sich Kathrin zu ihr um und öffnete die Augen.
«Dann hab ich nicht geträumt, dass du bei mir bist! Wie schön.» Sie lachte ein wenig verlegen. «Dass das nur niemand erfährt. Die alte Spitalmutter mit dem jungen Adam in einem Bett! Nein, so was.»
Kathrin schien sich darüber eher zu belustigen.
«War ich so betrunken?»
«Sturzbetrunken, würd ich sagen.»
Mit einem Satz war Eva aus dem Bett. «Wo sind meine Schuhe? Ich muss los!»
«So warte doch! Du kannst jetzt nicht so mir nichts, dir nichts hier rausmarschieren. Bleib hier, bis ich dich holenkomm. Wenn der Torhüter sein Morgenessen nimmt, kann ich dich unbemerkt rauslassen. Ich hab nämlich den Schlüssel für die kleine Seitenpforte am Tor.»
«Heut Nacht – was haben wir – hast du …?»
«A geh – wo denkst du hin? Ich hab nur deine Hand gehalten, bis ich eingeschlafen bin. Das war sehr schön.»
Am folgenden Sonntag erschien Eva nicht an ihrem Treffpunkt am Krauterermarkt. Zu tief steckte ihr der Schrecken über jene Nacht noch in den Knochen, obwohl ganz offensichtlich gar nichts geschehen war. Außerdem litt sie, nach längerer Pause, an der weiblichen Gerechtigkeit, mit heftigeren Schmerzen und Bauchkrämpfen als gewöhnlich. Drei Tage später aber schon, einem Feiertag, hielt sie es nicht mehr aus, weil sie sich so einsam fühlte. Bei strömendem Regen machte sie sich am Vormittag auf den Weg ins Spital.
Müde und blass sah Kathrin aus, als Eva sie in der Küche des Pfründnerstocks schließlich fand, ausgerechnet zusammen mit Meister Hasplbeck. Sie standen beide am Herd, wo in einem großen Kessel ein Kräutersud seinen bitteren Duft verbreitete.
«Guten Morgen», murmelte Eva.
«Guten Morgen!» Kathrin sah auf, und sofort erschien ein Leuchten auf ihrem Gesicht.
«Aha, der Herr Gewandschneider gibt sich mal wieder die Ehre», keckerte der Bader los. «Nur muss ich dich enttäuschen: Unsere liebe Barreiterin hat heut leider gar keine Zeit für dich. Gleich kommt der Stadtarzt, zur Siechenschau nämlich.»
«Siechenschau?»
«Aber ja. Zwei Sondersieche liegen drüben. Nimm lieber die Beine in die Hand, wenn du dir keine Beulen und Pusteln in dein hübsches Gesicht holen willst.»
«Ach was, Adam. Es ist noch gar nicht gewiss, ob es sich umden Aussatz handelt. Aber ich hab leider wirklich keine Zeit. Komm, ich bring dich zum Tor zurück, dann kannst mir erzählen, was es Neues gibt.»
Als sie außer Reichweite des Baders waren, sagte Kathrin: «Es tut mir leid, wenn ich dich an jenem Abend überrumpelt hab, aber ich wollt dich wirklich nicht allein gehn lassen. Du hattst halt einen gehörigen Rausch – und warst dabei so drollig und rührend!»
«Ich versprech dir, Kathrin: Nie wieder werd ich so viel trinken.»
Sie waren am Tor angelangt. Der Regen lief Kathrin über die Wangen, und sie zitterte vor Kälte. Wie gern hätte Eva sie jetzt fest in die Arme genommen.
«Geh wieder zurück ins Haus. Sonst wirst du selber noch krank», sagte sie stattdessen nur.
Kathrin nickte und sah zu Boden. «Du solltest noch was wissen. Glaub ja nicht, dass ich jeden Mann so des Nachts mit in mein Bett nehme. Nie und nimmer! Ich weiß auch nicht genau, was es ist – aber mit dir ist’s so anders als mit den Männern sonst. Mit dir kann ich lachen und ratschen, und umgekehrt redest du mit mir über ernsthafte Dinge, wie es sonst kaum ein Mann mit Frauen tut. Vor allem aber hab ich bei dir keine Angst. Du würdest mir nie was tun, was ich nicht auch will.»
«Nein – natürlich nicht – niemals», stotterte Eva verwirrt.
«Sehen wir uns dann wieder, am
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