Die Vagabundin
verbieten. Und wenn der Brei erst mal abgedampft ist, sehen wir weiter.»
«Dann treffen wir uns also übermorgen?»
«Ja. Am besten auf der Haid. Im Patrizierviertel kennt uns keiner.»
Eine gute Woche später, es war der Samstag auf Sankt Gotthard, klopfte ein Botenjunge gegen Evas Zimmertür.
«Adam Auer?»
«Ja, der bin ich.»
«Ich hab hier ein Schreiben aus Ulm.»
Auffordernd streckte der Junge ihr die offene Hand entgegen. Eva fiel die Münze aus der Hand, die sie schon aus ihrem Beutel gekramt hatte – so sehr zitterten ihr die Finger. Der Junge bückte sich nach dem Heller, legte ihr das Schreiben vor die Füße und verschwand grußlos.
Eva stand da wie Lots Weib. Starrte auf das hellbraune Papier mit dem feuerroten Siegel und rührte sich nicht. Von Heilig Kreuz her hörte sie die Glocke zur Vesper rufen. Wie gern hätte sie jetzt Kathrin bei sich gehabt! Falls das Schreiben eine Enttäuschung enthielt, hätte niemand so gut wie sie sie trösten können!
Mit geschlossenen Augen brach sie endlich das Siegel und entrollte das Papier. Ihre Augen überflogen die üblichen Höflichkeitsfloskeln, bis sie an den letzten Absatz gelangten.
… bescheinigen hiermit und tun kund, dass erwähnte Josefina Barbiererin aus Passau, gebürtig zu Glatz, Mutter des Nikolaus Barbierer, bei uns allhier in der freien Reichsstadt Ulm bei den frommen Schwestern zur Ulmer Sammlung in Rechtschaffenheit lebt und arbeitet. Ulm, auf Sankt Quirinus anno etc. 1565.
Im nächsten Augenblick verschwammen die Buchstaben hinter einem Schleier von Tränen. Eva schluchzte und lachte zugleich, sprang in ihrem Kämmerchen herum, warf die Arme in die Luft und rief immer wieder: «Sie lebt! Sie lebt!»
Dann schlüpfte sie in ihre Schuhe, eilte die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hinaus auf die noch warme Gasse, rannte den ganzen Weg bis hinüber zur Brücke, dann über den träge dahinfließenden Donaustrom, bis sie völlig außer Atem vor der Schönen Pforte anlangte. Mit beiden Fäusten hämmerte sie gegen das Tor.
«Du schon wieder?» Der Torwärter sah sie durch die Luke hindurch vorwurfsvoll an. «Ich darf dich nicht reinlassen, das weißt doch.»
«Musst du auch nicht, Melcher, musst du auch nicht. Ich bitt dich nur: Hol mir die Barreiterin her. Es ist so dringend wie nie!»
Die Luke klappte wieder zu, und eine Viertelstunde später trat Kathrin heraus.
«Josefina ist in Ulm! Sie ist bei den Beginen! Sie lebt!»
Eva hüpfte um ihre Freundin herum wie ein Derwisch, zog sie schließlich von dem glotzenden Melcher weg auf die Brücke hinaus.
«Danke, gütiger Herrgott!» Sie streckte die gefalteten Hände zum Himmel, der sich nach Straubing zu rot zu verfärben begann. «Und danke dir, du liebe, liebe Kathrin!»
Auch Kathrin lachte und strahlte vor Freude. Eva zog sie in die Arme und wirbelte mit ihr im Kreis, tanzte einen immer schneller werdenden Dreher mitten auf der uralten Brücke, die sicher schon vieles erlebt hatte, aber wohl noch keine unter dem Abendhimmel tanzenden Freundinnen.
Erst als ein Fuhrmann sie mit der Peitsche aus dem Weg trieb, hielten sie inne, schwitzend, lachend und mit roten Gesichtern.
Plötzlich wurde Kathrin ernst. Sie umfasste Evas Hände.
«Willst du mich vor Gott, dem Herrn, zum Weib nehmen?»
Eva wusste auch nicht, welcher Teufel sie ritt, als sie das eine winzige Wort aussprach:
«Ja!»
40
Zum Tag der Hochzeit wurde der 1. August bestimmt.
Eva fragte sich später noch oft, warum sie nicht wenigstens am nächsten Tag alles zurückgenommen hatte. Warum sie ihr Leben und Kathrins Leben einfach so auf diesen Abgrund hatte zuschlittern lassen. Vielleicht lag es daran, dass sie an jenem Abend so außer sich gewesen war vor Freude, vielleicht auch, dass sie an ihre zweite Haut als Mann bereits so gewöhnt war, dass ihr eine Heirat mit einer Frau gar nicht so absonderlich erschien, vielmehr als Lösung für ihre verzwickte Lage. Und auf ihre Art liebte sie Kathrin ja tatsächlich.
Ganz sicher aber hatte sie sich von der Glückseligkeit ihrer Freundin anstecken lassen. Kathrin hatte sogleich eine ganz genaueVorstellung, wie alles vor sich gehen sollte. Sie würde mit dem Kaplan sprechen und ihm ihre offizielle Heiratsabrede anzeigen, mit der Bitte, für die Hochzeit alles in die Wege zu leiten. Keiner würde sich nun mehr das Maul zerreißen über sie beide, sie würden zusammen sein können, wie und wann sie wollten.
«Bestimmt kannst du bald das
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