Die Vagabundin
Sonntag, bei Wind und Wetter, am neuen Brunnen vom Krauterermarkt. Hier, im Schatten des Doms, wurden unter der Woche die Feld- und Gartenfrüchte aus der Gegend angeboten, jetzt im Spätwinter allerdings wenigmehr als Kohl und Rettiche. Manchmal kehrten sie hernach in eine Wirtschaft ein, um sich aufzuwärmen und gemeinsam etwas zu essen.
Kathrin zuliebe gingen sie oftmals zur Donaulände, wo sich links und rechts der steinernen Brücke ein Stadel an den anderen reihte. Sonntags, wenn bei den Schiffern und Bootsleuten gemeinhin nicht gearbeitet wurde, ging es hier, am Fuß der Stadtmauer, recht geruhsam zu; die Spaziergänger konnten die langen Schiffszüge, die Zillen und Plätten begutachten, ohne den Lastenträgern im Weg zu stehen.
«Wie schön wär es, einmal auf dem Schiff zu fahren», sagte Kathrin dann jedes Mal. «Bis nach Wien oder Ungarn oder ans Schwarze Meer.»
Eva hatte anfangs kaum glauben können, dass ihre Freundin nie weiter als bis auf eine Meile aus der Stadt gekommen war. Überhaupt erfuhr sie nach und nach so einiges aus ihrem Leben. Ähnlich wie sie selbst hatte Kathrin Barreiterin es nicht leicht gehabt. Schon sehr früh zur Waise geworden, hatten sie und ihr jüngerer Bruder zunächst Aufnahme im Spital gefunden, bis eine Kaufmannsfamilie, denen der Kindersegen verwehrt geblieben war, sie beide an Kindes statt angenommen hatte. Dann allerdings, noch als ganz junges Mädchen, hätte sie den Bruder ihres Ziehvaters heiraten sollen und war davor ins Kloster geflohen. Anfangs hatte sie sich dort durchaus wohlgefühlt, doch nach und nach hatte die Enge der klösterlichen Gemeinschaft ihr die Luft zum Atmen genommen. Als dann eines Tages die Rote Ruhr ihren Bruder dahinraffte, stand ihr Entschluss fest: Nicht beten und ein nach innen gekehrtes Leben wollte sie fürderhin führen, sondern den Armen und Siechen helfen.
Nachdem sie einige Zeit als Spitalmutter gearbeitet hatte, hatte der Apotheker, der auch das Spital belieferte, um ihre Hand angehalten. Sie hatte den stillen, verschlossenen Manngemocht, doch schon nach wenigen Monaten ihrer Ehe hatte sich sein schwarzgalliges Gemüt gezeigt und obendrein eine krankhafte Eifersucht. Scherzte oder lachte sie in seinem Beisein mit einem anderen Mann, so schlug er ihr hinterher das Gesicht grün und blau oder schloss sie zur Strafe in der Schlafkammer ein. Das Übelste aber war, dass sie die körperliche Liebe mit ihm nie anders als mit Gewalt erlebt hatte. Als er im zweiten Jahr ihrer Ehe von jetzt auf nachher am Schlagfluss verstarb, war ihr das nicht anders als eine Erlösung erschienen.
Dies alles hatte sie Eva ohne jegliches Selbstmitleid oder Jammern berichtet.
«So, wie es gekommen ist, ist es gut. Ich bin zufrieden mit Gottes Fügung.»
«Und – was ist heut mit den Männern? Mit einer eigenen Familie?», wagte Eva einmal zu fragen.
«Ich hab doch dich», hatte sie entgegnet und ihr einen übermütigen Kuss auf die Wange gedrückt.
Überhaupt wurde das Leben jetzt recht behaglich. Sonntags trafen sie sich in der Stadt, an Feiertagen besuchte Eva die Freundin im Spital, wo sie bald ein und aus ging, als gehöre sie dazu. Der Einzige, der sich zunehmend giftiger gebärdete, war Meister Hasplbeck. Der Bader hatte doch tatsächlich um Kathrins Hand angehalten und selbstredend einen Korb geerntet.
Dann kamen die ersten warmen Tage, und sie genossen die Sonnenstrahlen vor der Schenkstatt der Spitalbrauerei, wo man Bänke und Tische aufgestellt hatte. Zu diesem Zeitpunkt dachte Eva zum ersten Mal daran, in Regensburg zu bleiben. War nicht das Leben hier, wo sie jeder als Adam Auer kannte, bei weitem sicherer als auf ihren Reisen? Drohte ihr Spiel durch den steten Wechsel von Orten und Menschen nicht viel eher entdeckt zu werden? Und würde sie jemals wieder auf einen solch liebenswerten Menschen treffen wie die Spitalmutter KathrinBarreiterin, die sie umsorgte und verwöhnte und treu war wie ein allerbester Freund?
Zu Beginn des Frühjahrs schon verdiente Eva mehr als gutes Geld. Ihre Rechnung war aufgegangen: Sie hatte eines Tages einen höheren Stücklohn verlangt, den Alfons Winklmair wie erwartet verweigerte, woraufhin sie ihm, freiweg und mit einem freundlichen Lächeln, gesagt hatte, er möge sich dann doch wen anderen suchen. Beim nächsten fertigen Wams lagen zwei Batzen mehr in ihrer Hand.
An diesem Tag beschloss Eva, einen Brief aufzusetzen, um herauszufinden, ob ihre Schwester tatsächlich nach Ulm gegangen war. Dazu musste zum
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